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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791.

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"zu sprechen." Während die Pförtnerin
die Geschichte mit allen Umständen erzählte,
färbten sich die Wangen der jungen Non-
nen hochroth, und die Sünde, die keine
Gelegenheit entwischen läßt, unschuldige
Herzen zu vergiften, schoß in ihr Blut, und
dramatisirte in flüchtiger Eile ihrer Einbil-
dungskraft, alle die gefährlichen Scenen
vor. Wuth und Zorn zogen indessen ihre
grimmigen Larven über die Gesichter der Al-
ten. Die Aebtissinn zitterte an ihrem Sta-
be, die Brille fiel von ihrer Nase, die Mut-
ter Gottes stund indessen nackend in der
Mitte, und schien den erstaunten und er-
zürnten Nonnen zuzurufen, ihre Blöße zu
decken. Da aber die Pförtnerin hinzu setzte,
es sey die Schwester Klara, die der Teufel
dem Dominikaner zugeführt hätte, so erfüll-
te ein wilder Schrey den ganzen Saal.
Nur Klara allein blieb gelassen, und nach-
dem eine kleine Pause, auf das Zetergeschrey
erfolgte, so sagte sie lächelnd: "Liebe
"Schwestern, warum schreit ihr so fürchter-

"lich?

„zu ſprechen.“ Waͤhrend die Pfoͤrtnerin
die Geſchichte mit allen Umſtaͤnden erzaͤhlte,
faͤrbten ſich die Wangen der jungen Non-
nen hochroth, und die Suͤnde, die keine
Gelegenheit entwiſchen laͤßt, unſchuldige
Herzen zu vergiften, ſchoß in ihr Blut, und
dramatiſirte in fluͤchtiger Eile ihrer Einbil-
dungskraft, alle die gefaͤhrlichen Scenen
vor. Wuth und Zorn zogen indeſſen ihre
grimmigen Larven uͤber die Geſichter der Al-
ten. Die Aebtiſſinn zitterte an ihrem Sta-
be, die Brille fiel von ihrer Naſe, die Mut-
ter Gottes ſtund indeſſen nackend in der
Mitte, und ſchien den erſtaunten und er-
zuͤrnten Nonnen zuzurufen, ihre Bloͤße zu
decken. Da aber die Pfoͤrtnerin hinzu ſetzte,
es ſey die Schweſter Klara, die der Teufel
dem Dominikaner zugefuͤhrt haͤtte, ſo erfuͤll-
te ein wilder Schrey den ganzen Saal.
Nur Klara allein blieb gelaſſen, und nach-
dem eine kleine Pauſe, auf das Zetergeſchrey
erfolgte, ſo ſagte ſie laͤchelnd: „Liebe
„Schweſtern, warum ſchreit ihr ſo fuͤrchter-

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[12/0023] „zu ſprechen.“ Waͤhrend die Pfoͤrtnerin die Geſchichte mit allen Umſtaͤnden erzaͤhlte, faͤrbten ſich die Wangen der jungen Non- nen hochroth, und die Suͤnde, die keine Gelegenheit entwiſchen laͤßt, unſchuldige Herzen zu vergiften, ſchoß in ihr Blut, und dramatiſirte in fluͤchtiger Eile ihrer Einbil- dungskraft, alle die gefaͤhrlichen Scenen vor. Wuth und Zorn zogen indeſſen ihre grimmigen Larven uͤber die Geſichter der Al- ten. Die Aebtiſſinn zitterte an ihrem Sta- be, die Brille fiel von ihrer Naſe, die Mut- ter Gottes ſtund indeſſen nackend in der Mitte, und ſchien den erſtaunten und er- zuͤrnten Nonnen zuzurufen, ihre Bloͤße zu decken. Da aber die Pfoͤrtnerin hinzu ſetzte, es ſey die Schweſter Klara, die der Teufel dem Dominikaner zugefuͤhrt haͤtte, ſo erfuͤll- te ein wilder Schrey den ganzen Saal. Nur Klara allein blieb gelaſſen, und nach- dem eine kleine Pauſe, auf das Zetergeſchrey erfolgte, ſo ſagte ſie laͤchelnd: „Liebe „Schweſtern, warum ſchreit ihr ſo fuͤrchter- „lich?

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Zitationshilfe: Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/23>, abgerufen am 24.11.2024.