Streben nach Genuß, der Zug nach Verän- derung, die Zweifel, keiner Empfindung einen dauernden Eindruck in seinem Herzen. Da er alles mit lebhaftem Gefühl umfaßte, so brannten seine Empfindungen wie Licht- kugeln auf, die einen Augenblick die Fin- sterniß erleuchten, und dann zerplatzen. Die gute Mahlzeit und die herrlichen Wei- ne in der Stadt, wo sie nun angekommen waren, schlugen bald alle trübe Geister völ- lig nieder. Da eben in derselben Jahr- markt war, so gieng Faust mit dem Teufel nach Tische auf den Platz, um das Gewim- mel zu sehen.
Es war ein sonderbares Land, worin sie sich nun befanden. In einem Kloster der Stadt lebte ein junger Mönch, dem es ohne viele Mühe gelungen war, einige wenige Fun- ken von Verstand durch das Feuer seiner Einbildungskraft gänzlich aufzubrennen, und sich so mächtig von der Kraft des reli- giösen Glaubens zu überzeugen, daß er hoff- te, wenn einst seine Seele den wahren
Schwung
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Streben nach Genuß, der Zug nach Veraͤn- derung, die Zweifel, keiner Empfindung einen dauernden Eindruck in ſeinem Herzen. Da er alles mit lebhaftem Gefuͤhl umfaßte, ſo brannten ſeine Empfindungen wie Licht- kugeln auf, die einen Augenblick die Fin- ſterniß erleuchten, und dann zerplatzen. Die gute Mahlzeit und die herrlichen Wei- ne in der Stadt, wo ſie nun angekommen waren, ſchlugen bald alle truͤbe Geiſter voͤl- lig nieder. Da eben in derſelben Jahr- markt war, ſo gieng Fauſt mit dem Teufel nach Tiſche auf den Platz, um das Gewim- mel zu ſehen.
Es war ein ſonderbares Land, worin ſie ſich nun befanden. In einem Kloſter der Stadt lebte ein junger Moͤnch, dem es ohne viele Muͤhe gelungen war, einige wenige Fun- ken von Verſtand durch das Feuer ſeiner Einbildungskraft gaͤnzlich aufzubrennen, und ſich ſo maͤchtig von der Kraft des reli- gioͤſen Glaubens zu uͤberzeugen, daß er hoff- te, wenn einſt ſeine Seele den wahren
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Streben nach Genuß, der Zug nach Veraͤn-
derung, die Zweifel, keiner Empfindung
einen dauernden Eindruck in ſeinem Herzen.
Da er alles mit lebhaftem Gefuͤhl umfaßte,
ſo brannten ſeine Empfindungen wie Licht-
kugeln auf, die einen Augenblick die Fin-
ſterniß erleuchten, und dann zerplatzen.
Die gute Mahlzeit und die herrlichen Wei-
ne in der Stadt, wo ſie nun angekommen
waren, ſchlugen bald alle truͤbe Geiſter voͤl-
lig nieder. Da eben in derſelben Jahr-
markt war, ſo gieng Fauſt mit dem Teufel
nach Tiſche auf den Platz, um das Gewim-
mel zu ſehen.
Es war ein ſonderbares Land, worin ſie
ſich nun befanden. In einem Kloſter der
Stadt lebte ein junger Moͤnch, dem es ohne
viele Muͤhe gelungen war, einige wenige Fun-
ken von Verſtand durch das Feuer ſeiner
Einbildungskraft gaͤnzlich aufzubrennen,
und ſich ſo maͤchtig von der Kraft des reli-
gioͤſen Glaubens zu uͤberzeugen, daß er hoff-
te, wenn einſt ſeine Seele den wahren
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/224>, abgerufen am 22.11.2024.
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