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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791.

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cke von den Augen des Verstummten weg;
das Gefühl seiner Redlichkeit wollte seine
starre Zunge beleben, der Fürst befahl ihm
zu schweigen, seine Stelle nieder zu legen,
nach Hause zu gehen, und sich nicht zu ent-
fernen, bis ein Gericht über ihn gesprochen.

Der Unglückliche gieng, dicke Thränen
rollten in seinen Bart. Die Verzweiflung
entriß seiner Tochter das Geheimniß ihrer
Schande, und der Mutter das Geständniß
ihres Verbrechens. Die Kraft seines Gei-
stes zersprang, seine Sinne verwirrten sich,
und nur das schrecklichste Schicksal, das
den Menschen treffen kann, Stumpfheit
und Wahnsinn zogen einen düstern Schleier
vor das Erinnern des Vergangnen, und
heilten durch eine gänzliche Zerstörung sein
Herz von den grausamen Wunden, die ihm
seine Nächsten geschlagen.

In diesem Augenblick führte der Teufel
Fausten in das Zimmer des Ministers, er
hatte ihn vorher von der ganzen Geschichte
unterrichtet. Noch hatte die Zerstöhrung

nicht

cke von den Augen des Verſtummten weg;
das Gefuͤhl ſeiner Redlichkeit wollte ſeine
ſtarre Zunge beleben, der Fuͤrſt befahl ihm
zu ſchweigen, ſeine Stelle nieder zu legen,
nach Hauſe zu gehen, und ſich nicht zu ent-
fernen, bis ein Gericht uͤber ihn geſprochen.

Der Ungluͤckliche gieng, dicke Thraͤnen
rollten in ſeinen Bart. Die Verzweiflung
entriß ſeiner Tochter das Geheimniß ihrer
Schande, und der Mutter das Geſtaͤndniß
ihres Verbrechens. Die Kraft ſeines Gei-
ſtes zerſprang, ſeine Sinne verwirrten ſich,
und nur das ſchrecklichſte Schickſal, das
den Menſchen treffen kann, Stumpfheit
und Wahnſinn zogen einen duͤſtern Schleier
vor das Erinnern des Vergangnen, und
heilten durch eine gaͤnzliche Zerſtoͤrung ſein
Herz von den grauſamen Wunden, die ihm
ſeine Naͤchſten geſchlagen.

In dieſem Augenblick fuͤhrte der Teufel
Fauſten in das Zimmer des Miniſters, er
hatte ihn vorher von der ganzen Geſchichte
unterrichtet. Noch hatte die Zerſtoͤhrung

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[190/0201] cke von den Augen des Verſtummten weg; das Gefuͤhl ſeiner Redlichkeit wollte ſeine ſtarre Zunge beleben, der Fuͤrſt befahl ihm zu ſchweigen, ſeine Stelle nieder zu legen, nach Hauſe zu gehen, und ſich nicht zu ent- fernen, bis ein Gericht uͤber ihn geſprochen. Der Ungluͤckliche gieng, dicke Thraͤnen rollten in ſeinen Bart. Die Verzweiflung entriß ſeiner Tochter das Geheimniß ihrer Schande, und der Mutter das Geſtaͤndniß ihres Verbrechens. Die Kraft ſeines Gei- ſtes zerſprang, ſeine Sinne verwirrten ſich, und nur das ſchrecklichſte Schickſal, das den Menſchen treffen kann, Stumpfheit und Wahnſinn zogen einen duͤſtern Schleier vor das Erinnern des Vergangnen, und heilten durch eine gaͤnzliche Zerſtoͤrung ſein Herz von den grauſamen Wunden, die ihm ſeine Naͤchſten geſchlagen. In dieſem Augenblick fuͤhrte der Teufel Fauſten in das Zimmer des Miniſters, er hatte ihn vorher von der ganzen Geſchichte unterrichtet. Noch hatte die Zerſtoͤhrung nicht

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Zitationshilfe: Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/201>, abgerufen am 23.11.2024.