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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791.

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Sie kamen gegen Abend in eine Stadt
wo sie bey dem Einritt eine Menge Volks
um einen Thurm versammelt fanden, in
welchem man die zum Tod Verurtheilten,
die lezte Nacht ihres Lebens zu bewachen
pflegte. Faust merkte, daß einige wild,
andre gerührt hinauf sahen, und erkundigte
sich um den Grund dieser Aeußerungen. Das
Volk schrie untereinander:

"Unser Vater, der Freund der Freiheit,
"der Beschützer des Volks, der Rächer der
"Unterdrückung, der Doktor Robertus sizt
"da oben! der harte, tyrannische Minister,
"sein Freund, hat ihn zum Tod verdammt,
"und Morgen soll er hingerichtet werden,
"weil er uns gegen ihn so kühn verthei-
"digt hat."

Diese Worte fielen in die Seele Fausts.
Er faßte eine hohe Meinung von dem Man-
ne, der sich auf Gefahr seines Lebens, zum
Rächer der Menschen aufgeworfen; und da
er so eben ein Augenzeuge der Folgen tyran-
nischer Gewaltthätigkeit gewesen war, so

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L 2

Sie kamen gegen Abend in eine Stadt
wo ſie bey dem Einritt eine Menge Volks
um einen Thurm verſammelt fanden, in
welchem man die zum Tod Verurtheilten,
die lezte Nacht ihres Lebens zu bewachen
pflegte. Fauſt merkte, daß einige wild,
andre geruͤhrt hinauf ſahen, und erkundigte
ſich um den Grund dieſer Aeußerungen. Das
Volk ſchrie untereinander:

„Unſer Vater, der Freund der Freiheit,
„der Beſchuͤtzer des Volks, der Raͤcher der
„Unterdruͤckung, der Doktor Robertus ſizt
„da oben! der harte, tyranniſche Miniſter,
„ſein Freund, hat ihn zum Tod verdammt,
„und Morgen ſoll er hingerichtet werden,
„weil er uns gegen ihn ſo kuͤhn verthei-
„digt hat.“

Dieſe Worte fielen in die Seele Fauſts.
Er faßte eine hohe Meinung von dem Man-
ne, der ſich auf Gefahr ſeines Lebens, zum
Raͤcher der Menſchen aufgeworfen; und da
er ſo eben ein Augenzeuge der Folgen tyran-
niſcher Gewaltthaͤtigkeit geweſen war, ſo

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[163/0174] Sie kamen gegen Abend in eine Stadt wo ſie bey dem Einritt eine Menge Volks um einen Thurm verſammelt fanden, in welchem man die zum Tod Verurtheilten, die lezte Nacht ihres Lebens zu bewachen pflegte. Fauſt merkte, daß einige wild, andre geruͤhrt hinauf ſahen, und erkundigte ſich um den Grund dieſer Aeußerungen. Das Volk ſchrie untereinander: „Unſer Vater, der Freund der Freiheit, „der Beſchuͤtzer des Volks, der Raͤcher der „Unterdruͤckung, der Doktor Robertus ſizt „da oben! der harte, tyranniſche Miniſter, „ſein Freund, hat ihn zum Tod verdammt, „und Morgen ſoll er hingerichtet werden, „weil er uns gegen ihn ſo kuͤhn verthei- „digt hat.“ Dieſe Worte fielen in die Seele Fauſts. Er faßte eine hohe Meinung von dem Man- ne, der ſich auf Gefahr ſeines Lebens, zum Raͤcher der Menſchen aufgeworfen; und da er ſo eben ein Augenzeuge der Folgen tyran- niſcher Gewaltthaͤtigkeit geweſen war, ſo for- L 2

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Zitationshilfe: Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/174>, abgerufen am 24.11.2024.