wie andere gelehrte Knaben und vielverspre- chende Jünglinge es sich angelegen sein lassen immer gescheuter und vernünftiger zu werden, habe ich im Gegentheile stets eine besondere Vorliebe für die Tollheit gehabt, und es zu einer absoluten Verworrenheit in mir zu brin- gen gesucht, eben um, wie unser Herrgott, erst ein gutes und vollständiges Chaos zu vol- lenden, aus welchem sich nachher gelegentlich, wenn es mir einfiele, eine leidliche Welt zu- sammen ordnen ließe. -- Ja es kommt mir zu Zeiten in überspannten Augenblicken wohl gar vor, als ob das Menschengeschlecht das Chaos selbst verpfuscht habe, und mit dem Ordnen zu voreilig gewesen sei, weshalb denn auch nichts an seinen gehörigen Platz zu stehen kom- men könne, und der Schöpfer bald möglichst dazu thun müsse die Welt, wie ein verunglück- tes System auszustreichen und zu vernich- ten. --
Ach, diese fixe Idee ist mir übel genug bekommen, und hätte mich selbst beinahe ein-
wie andere gelehrte Knaben und vielverſpre- chende Juͤnglinge es ſich angelegen ſein laſſen immer geſcheuter und vernuͤnftiger zu werden, habe ich im Gegentheile ſtets eine beſondere Vorliebe fuͤr die Tollheit gehabt, und es zu einer abſoluten Verworrenheit in mir zu brin- gen geſucht, eben um, wie unſer Herrgott, erſt ein gutes und vollſtaͤndiges Chaos zu vol- lenden, aus welchem ſich nachher gelegentlich, wenn es mir einfiele, eine leidliche Welt zu- ſammen ordnen ließe. — Ja es kommt mir zu Zeiten in uͤberſpannten Augenblicken wohl gar vor, als ob das Menſchengeſchlecht das Chaos ſelbſt verpfuſcht habe, und mit dem Ordnen zu voreilig geweſen ſei, weshalb denn auch nichts an ſeinen gehoͤrigen Platz zu ſtehen kom- men koͤnne, und der Schoͤpfer bald moͤglichſt dazu thun muͤſſe die Welt, wie ein verungluͤck- tes Syſtem auszuſtreichen und zu vernich- ten. —
Ach, dieſe fixe Idee iſt mir uͤbel genug bekommen, und haͤtte mich ſelbſt beinahe ein-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0096"n="94"/>
wie andere gelehrte Knaben und vielverſpre-<lb/>
chende Juͤnglinge es ſich angelegen ſein laſſen<lb/>
immer geſcheuter und vernuͤnftiger zu werden,<lb/>
habe ich im Gegentheile ſtets eine beſondere<lb/>
Vorliebe fuͤr die Tollheit gehabt, und es zu<lb/>
einer abſoluten Verworrenheit in mir zu brin-<lb/>
gen geſucht, eben um, wie unſer Herrgott,<lb/>
erſt ein gutes und vollſtaͤndiges Chaos zu vol-<lb/>
lenden, aus welchem ſich nachher gelegentlich,<lb/>
wenn es mir einfiele, eine leidliche Welt zu-<lb/>ſammen ordnen ließe. — Ja es kommt mir zu<lb/>
Zeiten in uͤberſpannten Augenblicken wohl gar<lb/>
vor, als ob das Menſchengeſchlecht das Chaos<lb/>ſelbſt verpfuſcht habe, und mit dem Ordnen<lb/>
zu voreilig geweſen ſei, weshalb denn auch<lb/>
nichts an ſeinen gehoͤrigen Platz zu ſtehen kom-<lb/>
men koͤnne, und der Schoͤpfer bald moͤglichſt<lb/>
dazu thun muͤſſe die Welt, wie ein verungluͤck-<lb/>
tes Syſtem auszuſtreichen und zu vernich-<lb/>
ten. —</p><lb/><p>Ach, dieſe fixe Idee iſt mir uͤbel genug<lb/>
bekommen, und haͤtte mich ſelbſt beinahe ein-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[94/0096]
wie andere gelehrte Knaben und vielverſpre-
chende Juͤnglinge es ſich angelegen ſein laſſen
immer geſcheuter und vernuͤnftiger zu werden,
habe ich im Gegentheile ſtets eine beſondere
Vorliebe fuͤr die Tollheit gehabt, und es zu
einer abſoluten Verworrenheit in mir zu brin-
gen geſucht, eben um, wie unſer Herrgott,
erſt ein gutes und vollſtaͤndiges Chaos zu vol-
lenden, aus welchem ſich nachher gelegentlich,
wenn es mir einfiele, eine leidliche Welt zu-
ſammen ordnen ließe. — Ja es kommt mir zu
Zeiten in uͤberſpannten Augenblicken wohl gar
vor, als ob das Menſchengeſchlecht das Chaos
ſelbſt verpfuſcht habe, und mit dem Ordnen
zu voreilig geweſen ſei, weshalb denn auch
nichts an ſeinen gehoͤrigen Platz zu ſtehen kom-
men koͤnne, und der Schoͤpfer bald moͤglichſt
dazu thun muͤſſe die Welt, wie ein verungluͤck-
tes Syſtem auszuſtreichen und zu vernich-
ten. —
Ach, dieſe fixe Idee iſt mir uͤbel genug
bekommen, und haͤtte mich ſelbſt beinahe ein-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/96>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.