Zu meinem nicht geringen Erstaunen traf ich hier wieder mit ihr zusammen. Ihr Käm- merchen stieß dicht an das meinige, und ich hörte sie täglich den Holzschuh und Muschelhut ihres Geliebten besingen. Ein Kerl wie ich, der aus Haß und Grimm zusammengesetzt ist, und nicht wie andere Menschenkinder seiner Mutter Leibe, sondern vielmehr einem schwan- gern Vulkane entbunden zu sein scheint, hat für Liebe und dergleichen wenig Sinn; und doch beschlich mich hier im Tollhause so etwas, es äußerte sich zwar anfangs nicht in den ge- wöhnlichen Symptomen, als Vorliebe für Mondschein, poetischen Andrangs zum Kopfe und dergleichen; sondern vielmehr in dem hef- tigen Bestreben zur Errichtung einer Narren- propaganda und einer ausgebreiteten Kolonie von Verrückten, um sie zum Schrecken der an- dern vernünftigen Menschen plözlich anlanden zu lassen.
Dies tolle Gefühl indeß, das sie Liebe nen- nen, und das wie ein Flicken von Himmel
Zu meinem nicht geringen Erſtaunen traf ich hier wieder mit ihr zuſammen. Ihr Kaͤm- merchen ſtieß dicht an das meinige, und ich hoͤrte ſie taͤglich den Holzſchuh und Muſchelhut ihres Geliebten beſingen. Ein Kerl wie ich, der aus Haß und Grimm zuſammengeſetzt iſt, und nicht wie andere Menſchenkinder ſeiner Mutter Leibe, ſondern vielmehr einem ſchwan- gern Vulkane entbunden zu ſein ſcheint, hat fuͤr Liebe und dergleichen wenig Sinn; und doch beſchlich mich hier im Tollhauſe ſo etwas, es aͤußerte ſich zwar anfangs nicht in den ge- woͤhnlichen Symptomen, als Vorliebe fuͤr Mondſchein, poetiſchen Andrangs zum Kopfe und dergleichen; ſondern vielmehr in dem hef- tigen Beſtreben zur Errichtung einer Narren- propaganda und einer ausgebreiteten Kolonie von Verruͤckten, um ſie zum Schrecken der an- dern vernuͤnftigen Menſchen ploͤzlich anlanden zu laſſen.
Dies tolle Gefuͤhl indeß, das ſie Liebe nen- nen, und das wie ein Flicken von Himmel
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0235"n="233"/><p>Zu meinem nicht geringen Erſtaunen traf<lb/>
ich hier wieder mit ihr zuſammen. Ihr Kaͤm-<lb/>
merchen ſtieß dicht an das meinige, und ich<lb/>
hoͤrte ſie taͤglich den Holzſchuh und Muſchelhut<lb/>
ihres Geliebten beſingen. Ein Kerl wie ich,<lb/>
der aus Haß und Grimm zuſammengeſetzt iſt,<lb/>
und nicht wie andere Menſchenkinder ſeiner<lb/>
Mutter Leibe, ſondern vielmehr einem ſchwan-<lb/>
gern Vulkane entbunden zu ſein ſcheint, hat<lb/>
fuͤr Liebe und dergleichen wenig Sinn; und<lb/>
doch beſchlich mich hier im Tollhauſe ſo etwas,<lb/>
es aͤußerte ſich zwar anfangs nicht in den ge-<lb/>
woͤhnlichen Symptomen, als Vorliebe fuͤr<lb/>
Mondſchein, poetiſchen Andrangs zum Kopfe<lb/>
und dergleichen; ſondern vielmehr in dem hef-<lb/>
tigen Beſtreben zur Errichtung einer Narren-<lb/>
propaganda und einer ausgebreiteten Kolonie<lb/>
von Verruͤckten, um ſie zum Schrecken der an-<lb/>
dern vernuͤnftigen Menſchen ploͤzlich anlanden<lb/>
zu laſſen.</p><lb/><p>Dies tolle Gefuͤhl indeß, das ſie Liebe nen-<lb/>
nen, und das wie ein Flicken von Himmel<lb/></p></div></body></text></TEI>
[233/0235]
Zu meinem nicht geringen Erſtaunen traf
ich hier wieder mit ihr zuſammen. Ihr Kaͤm-
merchen ſtieß dicht an das meinige, und ich
hoͤrte ſie taͤglich den Holzſchuh und Muſchelhut
ihres Geliebten beſingen. Ein Kerl wie ich,
der aus Haß und Grimm zuſammengeſetzt iſt,
und nicht wie andere Menſchenkinder ſeiner
Mutter Leibe, ſondern vielmehr einem ſchwan-
gern Vulkane entbunden zu ſein ſcheint, hat
fuͤr Liebe und dergleichen wenig Sinn; und
doch beſchlich mich hier im Tollhauſe ſo etwas,
es aͤußerte ſich zwar anfangs nicht in den ge-
woͤhnlichen Symptomen, als Vorliebe fuͤr
Mondſchein, poetiſchen Andrangs zum Kopfe
und dergleichen; ſondern vielmehr in dem hef-
tigen Beſtreben zur Errichtung einer Narren-
propaganda und einer ausgebreiteten Kolonie
von Verruͤckten, um ſie zum Schrecken der an-
dern vernuͤnftigen Menſchen ploͤzlich anlanden
zu laſſen.
Dies tolle Gefuͤhl indeß, das ſie Liebe nen-
nen, und das wie ein Flicken von Himmel
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/235>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.