förmlich toll vom Theater ablief. Es gab ge- waltigen Lärm, und wie andere Direktoren sich mit dem Einstudieren der Rollen zu beschäfti- gen pflegen, so bemühete sich dagegen der an- wesende seine Prima Donna mit aller Anstren- gung aus der gespielten herauszustudieren; -- doch vergeblich, die mächtige Hand des Shake- spear, dieses zweiten Schöpfers, hatte sie zu heftig ergriffen, und lies sie zum Schrecken aller Gegenwärtigen nicht wieder los. Für mich war es ein interessantes Schauspiel, die- ses gewaltige Eingreifen einer Riesenhand in ein fremdes Leben, dieses Umschaffen der wirk- lichen Person zu einer poetischen, die jetzt vor den Augen aller Vernünftigen, auf Kothurnen ernsthaft auf- und abging, und abgerissene Gesänge, wie wunderbare Geistersprüche, hö- ren ließ. So sehr man auch mit den bündig- sten Gründen in sie drang zur Vernunft zu- rückzukehren, so heftig protestirte sie dagegen, und es blieb zuletzt kein anderes Mittel übrig, als sie ins Tollhaus zu schicken.
foͤrmlich toll vom Theater ablief. Es gab ge- waltigen Laͤrm, und wie andere Direktoren ſich mit dem Einſtudieren der Rollen zu beſchaͤfti- gen pflegen, ſo bemuͤhete ſich dagegen der an- weſende ſeine Prima Donna mit aller Anſtren- gung aus der geſpielten herauszuſtudieren; — doch vergeblich, die maͤchtige Hand des Shake- ſpear, dieſes zweiten Schoͤpfers, hatte ſie zu heftig ergriffen, und lies ſie zum Schrecken aller Gegenwaͤrtigen nicht wieder los. Fuͤr mich war es ein intereſſantes Schauſpiel, die- ſes gewaltige Eingreifen einer Rieſenhand in ein fremdes Leben, dieſes Umſchaffen der wirk- lichen Perſon zu einer poetiſchen, die jetzt vor den Augen aller Vernuͤnftigen, auf Kothurnen ernſthaft auf- und abging, und abgeriſſene Geſaͤnge, wie wunderbare Geiſterſpruͤche, hoͤ- ren ließ. So ſehr man auch mit den buͤndig- ſten Gruͤnden in ſie drang zur Vernunft zu- ruͤckzukehren, ſo heftig proteſtirte ſie dagegen, und es blieb zuletzt kein anderes Mittel uͤbrig, als ſie ins Tollhaus zu ſchicken.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0234"n="232"/>
foͤrmlich toll vom Theater ablief. Es gab ge-<lb/>
waltigen Laͤrm, und wie andere Direktoren ſich<lb/>
mit dem Einſtudieren der Rollen zu beſchaͤfti-<lb/>
gen pflegen, ſo bemuͤhete ſich dagegen der an-<lb/>
weſende ſeine Prima Donna mit aller Anſtren-<lb/>
gung aus der geſpielten herauszuſtudieren; —<lb/>
doch vergeblich, die maͤchtige Hand des Shake-<lb/>ſpear, dieſes zweiten Schoͤpfers, hatte ſie zu<lb/>
heftig ergriffen, und lies ſie zum Schrecken<lb/>
aller Gegenwaͤrtigen nicht wieder los. Fuͤr<lb/>
mich war es ein intereſſantes Schauſpiel, die-<lb/>ſes gewaltige Eingreifen einer Rieſenhand in<lb/>
ein fremdes Leben, dieſes Umſchaffen der wirk-<lb/>
lichen Perſon zu einer poetiſchen, die jetzt vor<lb/>
den Augen aller Vernuͤnftigen, auf Kothurnen<lb/>
ernſthaft auf- und abging, und abgeriſſene<lb/>
Geſaͤnge, wie wunderbare Geiſterſpruͤche, hoͤ-<lb/>
ren ließ. So ſehr man auch mit den buͤndig-<lb/>ſten Gruͤnden in ſie drang zur Vernunft zu-<lb/>
ruͤckzukehren, ſo heftig proteſtirte ſie dagegen,<lb/>
und es blieb zuletzt kein anderes Mittel uͤbrig,<lb/>
als ſie ins Tollhaus zu ſchicken.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[232/0234]
foͤrmlich toll vom Theater ablief. Es gab ge-
waltigen Laͤrm, und wie andere Direktoren ſich
mit dem Einſtudieren der Rollen zu beſchaͤfti-
gen pflegen, ſo bemuͤhete ſich dagegen der an-
weſende ſeine Prima Donna mit aller Anſtren-
gung aus der geſpielten herauszuſtudieren; —
doch vergeblich, die maͤchtige Hand des Shake-
ſpear, dieſes zweiten Schoͤpfers, hatte ſie zu
heftig ergriffen, und lies ſie zum Schrecken
aller Gegenwaͤrtigen nicht wieder los. Fuͤr
mich war es ein intereſſantes Schauſpiel, die-
ſes gewaltige Eingreifen einer Rieſenhand in
ein fremdes Leben, dieſes Umſchaffen der wirk-
lichen Perſon zu einer poetiſchen, die jetzt vor
den Augen aller Vernuͤnftigen, auf Kothurnen
ernſthaft auf- und abging, und abgeriſſene
Geſaͤnge, wie wunderbare Geiſterſpruͤche, hoͤ-
ren ließ. So ſehr man auch mit den buͤndig-
ſten Gruͤnden in ſie drang zur Vernunft zu-
ruͤckzukehren, ſo heftig proteſtirte ſie dagegen,
und es blieb zuletzt kein anderes Mittel uͤbrig,
als ſie ins Tollhaus zu ſchicken.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/234>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.