unsere moderne Kunstreligion betet in Kriti- ken, und hat die Andacht im Kopfe, wie ächt Religiöse im Herzen.
Ach, man soll die alten Götter wieder be- graben! Küssen Sie den Hintern, junger Mann, küssen Sie, und damit gut!
Auf der andern Seite, Freund, wollen Sie nicht mehr anbeten, so sollen Sie auch nicht weiter auf Kosten der Natur bewundern; denn der Menschwerdung dieser Götter widersetze ich mich standhaft. Sie haben die Wahl; entwe- der beten, oder begraben! --
Nicht so aufgeschaut, Lieber! Führen Sie die Natur, die ächte meine ich, wo möglich in Person einmal in diesen Kunstsaal, und lassen Sie sie reden. Beim Teufel, sie wird lachen über die komische Menschenmaske, die ihr so abgeschmackt wie der Popanz in Horazens Briefe an die Pisonen erscheinen muß.
Lassen Sie sie sprechen, ob sie jemals zu dieser Zehe diese Nase, zu diesem Munde jene Stirn, zu dieser Hand jenen Hintern wirklich
15
unſere moderne Kunſtreligion betet in Kriti- ken, und hat die Andacht im Kopfe, wie aͤcht Religioͤſe im Herzen.
Ach, man ſoll die alten Goͤtter wieder be- graben! Kuͤſſen Sie den Hintern, junger Mann, kuͤſſen Sie, und damit gut!
Auf der andern Seite, Freund, wollen Sie nicht mehr anbeten, ſo ſollen Sie auch nicht weiter auf Koſten der Natur bewundern; denn der Menſchwerdung dieſer Goͤtter widerſetze ich mich ſtandhaft. Sie haben die Wahl; entwe- der beten, oder begraben! —
Nicht ſo aufgeſchaut, Lieber! Fuͤhren Sie die Natur, die aͤchte meine ich, wo moͤglich in Perſon einmal in dieſen Kunſtſaal, und laſſen Sie ſie reden. Beim Teufel, ſie wird lachen uͤber die komiſche Menſchenmaske, die ihr ſo abgeſchmackt wie der Popanz in Horazens Briefe an die Piſonen erſcheinen muß.
Laſſen Sie ſie ſprechen, ob ſie jemals zu dieſer Zehe dieſe Naſe, zu dieſem Munde jene Stirn, zu dieſer Hand jenen Hintern wirklich
15
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0227"n="225"/>
unſere moderne Kunſtreligion betet in Kriti-<lb/>
ken, und hat die Andacht im Kopfe, wie aͤcht<lb/>
Religioͤſe im Herzen.</p><lb/><p>Ach, man ſoll die alten Goͤtter wieder be-<lb/>
graben! Kuͤſſen Sie den Hintern, junger Mann,<lb/>
kuͤſſen Sie, und damit gut!</p><lb/><p>Auf der andern Seite, Freund, wollen Sie<lb/>
nicht mehr anbeten, ſo ſollen Sie auch nicht<lb/>
weiter auf Koſten der Natur bewundern; denn<lb/>
der Menſchwerdung dieſer Goͤtter widerſetze ich<lb/>
mich ſtandhaft. Sie haben die Wahl; entwe-<lb/>
der beten, oder begraben! —</p><lb/><p>Nicht ſo aufgeſchaut, Lieber! Fuͤhren Sie<lb/>
die Natur, die aͤchte meine ich, wo moͤglich in<lb/>
Perſon einmal in dieſen Kunſtſaal, und laſſen<lb/>
Sie ſie reden. Beim Teufel, ſie wird lachen<lb/>
uͤber die komiſche Menſchenmaske, die ihr ſo<lb/>
abgeſchmackt wie der Popanz in Horazens<lb/>
Briefe an die Piſonen erſcheinen muß.</p><lb/><p>Laſſen Sie ſie ſprechen, ob ſie jemals zu<lb/>
dieſer Zehe dieſe Naſe, zu dieſem Munde jene<lb/>
Stirn, zu dieſer Hand jenen Hintern wirklich<lb/><fwplace="bottom"type="sig"rendition="#right">15</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[225/0227]
unſere moderne Kunſtreligion betet in Kriti-
ken, und hat die Andacht im Kopfe, wie aͤcht
Religioͤſe im Herzen.
Ach, man ſoll die alten Goͤtter wieder be-
graben! Kuͤſſen Sie den Hintern, junger Mann,
kuͤſſen Sie, und damit gut!
Auf der andern Seite, Freund, wollen Sie
nicht mehr anbeten, ſo ſollen Sie auch nicht
weiter auf Koſten der Natur bewundern; denn
der Menſchwerdung dieſer Goͤtter widerſetze ich
mich ſtandhaft. Sie haben die Wahl; entwe-
der beten, oder begraben! —
Nicht ſo aufgeſchaut, Lieber! Fuͤhren Sie
die Natur, die aͤchte meine ich, wo moͤglich in
Perſon einmal in dieſen Kunſtſaal, und laſſen
Sie ſie reden. Beim Teufel, ſie wird lachen
uͤber die komiſche Menſchenmaske, die ihr ſo
abgeſchmackt wie der Popanz in Horazens
Briefe an die Piſonen erſcheinen muß.
Laſſen Sie ſie ſprechen, ob ſie jemals zu
dieſer Zehe dieſe Naſe, zu dieſem Munde jene
Stirn, zu dieſer Hand jenen Hintern wirklich
15
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/227>, abgerufen am 26.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.