leid, daß Sie sich unter Lebensgefahr verstei- gen wollen. Wir sind seit dem Sündenfalle, vor dem Adam bekanntlich, nach der Versiche- rung der Rabbinen, seine hundert Ellen maß, merklich kleiner geworden, und schwinden von Zeit zu Zeit immer mehr, so daß man in unserm Säkulo vor allen solchen halsbrechen- den Versuchen, wie der vorliegende ist, ernst- lich warnen muß. Was wollen Sie überhaupt bei der steinernen Jungfrau, die in diesem Augenblicke zu einer eisernen für Sie werden würde, wenn ihr nicht die ächten Arme zum Umschlingen fehlten; denn mit den ergänzten hat es keine Noth, sie dienen nicht einmal zu einer Berlichingensfaust, und gleichen nur den angehefteten hölzernen, an den Körpern zer- schossener Soldaten. O Freund, was die Kunstärzte der neuern Periode auch immer hei- len und flicken mögen, sie bringen doch die von der tückischen Zeit verstümmelten Götter, wie z. B. diesen daliegenden Torso, nicht wie- der auf die Beine, und sie werden immer
leid, daß Sie ſich unter Lebensgefahr verſtei- gen wollen. Wir ſind ſeit dem Suͤndenfalle, vor dem Adam bekanntlich, nach der Verſiche- rung der Rabbinen, ſeine hundert Ellen maß, merklich kleiner geworden, und ſchwinden von Zeit zu Zeit immer mehr, ſo daß man in unſerm Saͤkulo vor allen ſolchen halsbrechen- den Verſuchen, wie der vorliegende iſt, ernſt- lich warnen muß. Was wollen Sie uͤberhaupt bei der ſteinernen Jungfrau, die in dieſem Augenblicke zu einer eiſernen fuͤr Sie werden wuͤrde, wenn ihr nicht die aͤchten Arme zum Umſchlingen fehlten; denn mit den ergaͤnzten hat es keine Noth, ſie dienen nicht einmal zu einer Berlichingensfauſt, und gleichen nur den angehefteten hoͤlzernen, an den Koͤrpern zer- ſchoſſener Soldaten. O Freund, was die Kunſtaͤrzte der neuern Periode auch immer hei- len und flicken moͤgen, ſie bringen doch die von der tuͤckiſchen Zeit verſtuͤmmelten Goͤtter, wie z. B. dieſen daliegenden Torſo, nicht wie- der auf die Beine, und ſie werden immer
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leid, daß Sie ſich unter Lebensgefahr verſtei-
gen wollen. Wir ſind ſeit dem Suͤndenfalle,
vor dem Adam bekanntlich, nach der Verſiche-
rung der Rabbinen, ſeine hundert Ellen maß,
merklich kleiner geworden, und ſchwinden von
Zeit zu Zeit immer mehr, ſo daß man in
unſerm Saͤkulo vor allen ſolchen halsbrechen-
den Verſuchen, wie der vorliegende iſt, ernſt-
lich warnen muß. Was wollen Sie uͤberhaupt
bei der ſteinernen Jungfrau, die in dieſem
Augenblicke zu einer eiſernen fuͤr Sie werden
wuͤrde, wenn ihr nicht die aͤchten Arme zum
Umſchlingen fehlten; denn mit den ergaͤnzten
hat es keine Noth, ſie dienen nicht einmal zu
einer Berlichingensfauſt, und gleichen nur den
angehefteten hoͤlzernen, an den Koͤrpern zer-
ſchoſſener Soldaten. O Freund, was die
Kunſtaͤrzte der neuern Periode auch immer hei-
len und flicken moͤgen, ſie bringen doch die
von der tuͤckiſchen Zeit verſtuͤmmelten Goͤtter,
wie z. B. dieſen daliegenden Torſo, nicht wie-
der auf die Beine, und ſie werden immer
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/225>, abgerufen am 24.11.2024.
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