nung; ich dichtete zu ihrer Begleitung fol- genden Dithyrambus über den Frühling.
"Du erscheinst, und erschrocken flieht dein finsterer Bruder, und die Schilde und Panzer, worin er gewaffnet dastand, rasseln durchein- anderstürzend und zerbrechen; und siehe errö- thend in Morgengluth tritt die junge Erde hervor, wie eine blühende Jungfrau; und du küssest die Geliebte, Jüngling, und schlingst ihr den Brautkranz in die Locken. Da sinkt der letzte Glätscher und das erstarrte Element wird frei, und fließt still dahin zwischen Blu- men und überwölkt von grünen Gebüschen, die Berge halten ihre Sennenhütten hoch in die blaue Luft, und an ihren Abhängen kleben die gefleckten Heerden. Blumen blühen und träumen Liebe, und die Nachtigall singt sie in den Gesträuchen. Die Bäume schlingen ihre Zweige in duftige Kränze, und reichen sie zum Himmel empor; der Adler steigt betend in
nung; ich dichtete zu ihrer Begleitung fol- genden Dithyrambus uͤber den Fruͤhling.
„Du erſcheinſt, und erſchrocken flieht dein finſterer Bruder, und die Schilde und Panzer, worin er gewaffnet daſtand, raſſeln durchein- anderſtuͤrzend und zerbrechen; und ſiehe erroͤ- thend in Morgengluth tritt die junge Erde hervor, wie eine bluͤhende Jungfrau; und du kuͤſſeſt die Geliebte, Juͤngling, und ſchlingſt ihr den Brautkranz in die Locken. Da ſinkt der letzte Glaͤtſcher und das erſtarrte Element wird frei, und fließt ſtill dahin zwiſchen Blu- men und uͤberwoͤlkt von gruͤnen Gebuͤſchen, die Berge halten ihre Sennenhuͤtten hoch in die blaue Luft, und an ihren Abhaͤngen kleben die gefleckten Heerden. Blumen bluͤhen und traͤumen Liebe, und die Nachtigall ſingt ſie in den Geſtraͤuchen. Die Baͤume ſchlingen ihre Zweige in duftige Kraͤnze, und reichen ſie zum Himmel empor; der Adler ſteigt betend in
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nung; ich dichtete zu ihrer Begleitung fol-
genden
Dithyrambus uͤber den Fruͤhling.
„Du erſcheinſt, und erſchrocken flieht dein
finſterer Bruder, und die Schilde und Panzer,
worin er gewaffnet daſtand, raſſeln durchein-
anderſtuͤrzend und zerbrechen; und ſiehe erroͤ-
thend in Morgengluth tritt die junge Erde
hervor, wie eine bluͤhende Jungfrau; und du
kuͤſſeſt die Geliebte, Juͤngling, und ſchlingſt
ihr den Brautkranz in die Locken. Da ſinkt
der letzte Glaͤtſcher und das erſtarrte Element
wird frei, und fließt ſtill dahin zwiſchen Blu-
men und uͤberwoͤlkt von gruͤnen Gebuͤſchen,
die Berge halten ihre Sennenhuͤtten hoch in
die blaue Luft, und an ihren Abhaͤngen kleben
die gefleckten Heerden. Blumen bluͤhen und
traͤumen Liebe, und die Nachtigall ſingt ſie in
den Geſtraͤuchen. Die Baͤume ſchlingen ihre
Zweige in duftige Kraͤnze, und reichen ſie zum
Himmel empor; der Adler ſteigt betend in
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/220>, abgerufen am 24.11.2024.
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