das Grab der Kunst! Ich fahre in die Leiden- schaften möglichst hinein, wie in Schlachthand- schuhe, ich spiele meine Karaktere mit Gefühl, und bin wenigstens, wie die größten Meister, auf einen Tag geizig, wenn ich einen Geizi- gen, oder toll, wenn ich einen Tollen darge- stellt habe.
Dahin ging er, und ließ mich fast abgeschmakt und lächerlich da stehn. "O falsche Welt!" rief ich grimmig aus -- "an der nichts mehr wahrhaft ist, selbst bis auf die Haarzöpfe dei- ner Bewohner, du leerer abgeschmackter Tum- melplatz von Narren und Masken, ist es denn nicht möglich auf dir zu einiger Begeisterung sich zu erheben!"
Es war mir, wie wenn ich mich jezt in der Nacht unter dem zugedeckten Monde, weit ausdehnte, und auf großen schwarzen Schwin- gen, wie der Teufel über dem Erdball schwebte. Ich schüttelte mich und lachte, und hätte gern
das Grab der Kunſt! Ich fahre in die Leiden- ſchaften moͤglichſt hinein, wie in Schlachthand- ſchuhe, ich ſpiele meine Karaktere mit Gefuͤhl, und bin wenigſtens, wie die groͤßten Meiſter, auf einen Tag geizig, wenn ich einen Geizi- gen, oder toll, wenn ich einen Tollen darge- ſtellt habe.
Dahin ging er, und ließ mich faſt abgeſchmakt und laͤcherlich da ſtehn. „O falſche Welt!“ rief ich grimmig aus — „an der nichts mehr wahrhaft iſt, ſelbſt bis auf die Haarzoͤpfe dei- ner Bewohner, du leerer abgeſchmackter Tum- melplatz von Narren und Masken, iſt es denn nicht moͤglich auf dir zu einiger Begeiſterung ſich zu erheben!“
Es war mir, wie wenn ich mich jezt in der Nacht unter dem zugedeckten Monde, weit ausdehnte, und auf großen ſchwarzen Schwin- gen, wie der Teufel uͤber dem Erdball ſchwebte. Ich ſchuͤttelte mich und lachte, und haͤtte gern
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das Grab der Kunſt! Ich fahre in die Leiden-
ſchaften moͤglichſt hinein, wie in Schlachthand-
ſchuhe, ich ſpiele meine Karaktere mit Gefuͤhl,
und bin wenigſtens, wie die groͤßten Meiſter,
auf einen Tag geizig, wenn ich einen Geizi-
gen, oder toll, wenn ich einen Tollen darge-
ſtellt habe.
Dahin ging er, und ließ mich faſt abgeſchmakt
und laͤcherlich da ſtehn. „O falſche Welt!“ rief
ich grimmig aus — „an der nichts mehr
wahrhaft iſt, ſelbſt bis auf die Haarzoͤpfe dei-
ner Bewohner, du leerer abgeſchmackter Tum-
melplatz von Narren und Masken, iſt es denn
nicht moͤglich auf dir zu einiger Begeiſterung
ſich zu erheben!“
Es war mir, wie wenn ich mich jezt in
der Nacht unter dem zugedeckten Monde, weit
ausdehnte, und auf großen ſchwarzen Schwin-
gen, wie der Teufel uͤber dem Erdball ſchwebte.
Ich ſchuͤttelte mich und lachte, und haͤtte gern
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/217>, abgerufen am 24.11.2024.
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