können sie alle der Reihe nach anpassen, aus einer Monarchie in die Republik, und aus dieser wieder in eine Despotie fahren; sie können dort groß und klein, kurz nach einan- der, und zuletzt wieder ganz gewöhnlich sein, was doch immer für die Menschheit am inter- essantesten bleibt.
Freund, gegen den Menschenhaß giebt es trefliche Mittel; ja ich habe das Exempel ge- habt, daß ein gutes Gericht mich selbst einst vom Selbstmorde abbrachte, und ich gesättigt ausrief: "das Leben ist doch schön!" Wie an- dere den Kopf oder das Herz, so nehme ich den Magen für den Sitz des Lebens an; an allem was je Großes und Vortrefliches in der Welt geschah, ist meistentheils der Magen Schuld. Der Mensch ist ein verschlingendes Geschöpf, und wirft man ihm nur viel vor, so giebt er in den Verdauungsstunden die vor- treflichsten Sachen von sich, und verklärt sich essend und wird unsterblich.
koͤnnen ſie alle der Reihe nach anpaſſen, aus einer Monarchie in die Republik, und aus dieſer wieder in eine Deſpotie fahren; ſie koͤnnen dort groß und klein, kurz nach einan- der, und zuletzt wieder ganz gewoͤhnlich ſein, was doch immer fuͤr die Menſchheit am inter- eſſanteſten bleibt.
Freund, gegen den Menſchenhaß giebt es trefliche Mittel; ja ich habe das Exempel ge- habt, daß ein gutes Gericht mich ſelbſt einſt vom Selbſtmorde abbrachte, und ich geſaͤttigt ausrief: „das Leben iſt doch ſchoͤn!“ Wie an- dere den Kopf oder das Herz, ſo nehme ich den Magen fuͤr den Sitz des Lebens an; an allem was je Großes und Vortrefliches in der Welt geſchah, iſt meiſtentheils der Magen Schuld. Der Menſch iſt ein verſchlingendes Geſchoͤpf, und wirft man ihm nur viel vor, ſo giebt er in den Verdauungsſtunden die vor- treflichſten Sachen von ſich, und verklaͤrt ſich eſſend und wird unſterblich.
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koͤnnen ſie alle der Reihe nach anpaſſen, aus
einer Monarchie in die Republik, und aus
dieſer wieder in eine Deſpotie fahren; ſie
koͤnnen dort groß und klein, kurz nach einan-
der, und zuletzt wieder ganz gewoͤhnlich ſein,
was doch immer fuͤr die Menſchheit am inter-
eſſanteſten bleibt.
Freund, gegen den Menſchenhaß giebt es
trefliche Mittel; ja ich habe das Exempel ge-
habt, daß ein gutes Gericht mich ſelbſt einſt
vom Selbſtmorde abbrachte, und ich geſaͤttigt
ausrief: „das Leben iſt doch ſchoͤn!“ Wie an-
dere den Kopf oder das Herz, ſo nehme ich
den Magen fuͤr den Sitz des Lebens an; an
allem was je Großes und Vortrefliches in der
Welt geſchah, iſt meiſtentheils der Magen
Schuld. Der Menſch iſt ein verſchlingendes
Geſchoͤpf, und wirft man ihm nur viel vor, ſo
giebt er in den Verdauungsſtunden die vor-
treflichſten Sachen von ſich, und verklaͤrt ſich
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/213>, abgerufen am 24.11.2024.
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