Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

der Flamme auf dem Haupte gegen die Men-
schen zürnte. Sein ganzes Genie konzentrirte
sich auf die Vollendung einer Tragödie, wo-
rin die großen Geister der Menschheit deren
Körper und bloße äußere Hülle sie gleichsam
nur erscheint, die Liebe, der Haß, die Zeit
und die Ewigkeit als hohe geheimnißvolle Ge-
stalten auftraten, durch die statt des Chors
ein tragischer Hanswurst, eine groteske und
furchtbare Maske, hinlief. Der Tragiker
hielt das schöne Antliz des Lebens mit eiser-
ner Faust unverrükt vor seinen großen Hohl-
spiegel, worinn es sich in wilde Züge verzerrte
und gleichsam seine Abgründe offenbarte in den
Furchen und häßlichen Runzeln die in die schö-
nen Wangen fielen; so zeichnete er's ab.

Es ist gut, daß es viele nicht begriffen,
denn in unserm Lorgnetten Zeitalter sind die
größesten Gegenstände so entrükt worden, daß
man sie höchstens nur noch in der Ferne un-
deutlich durch die Vergrößerungsgläser erkennt;

der Flamme auf dem Haupte gegen die Men-
ſchen zuͤrnte. Sein ganzes Genie konzentrirte
ſich auf die Vollendung einer Tragoͤdie, wo-
rin die großen Geiſter der Menſchheit deren
Koͤrper und bloße aͤußere Huͤlle ſie gleichſam
nur erſcheint, die Liebe, der Haß, die Zeit
und die Ewigkeit als hohe geheimnißvolle Ge-
ſtalten auftraten, durch die ſtatt des Chors
ein tragiſcher Hanswurſt, eine groteske und
furchtbare Maske, hinlief. Der Tragiker
hielt das ſchoͤne Antliz des Lebens mit eiſer-
ner Fauſt unverruͤkt vor ſeinen großen Hohl-
ſpiegel, worinn es ſich in wilde Zuͤge verzerrte
und gleichſam ſeine Abgruͤnde offenbarte in den
Furchen und haͤßlichen Runzeln die in die ſchoͤ-
nen Wangen fielen; ſo zeichnete er’s ab.

Es iſt gut, daß es viele nicht begriffen,
denn in unſerm Lorgnetten Zeitalter ſind die
groͤßeſten Gegenſtaͤnde ſo entruͤkt worden, daß
man ſie hoͤchſtens nur noch in der Ferne un-
deutlich durch die Vergroͤßerungsglaͤſer erkennt;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0134" n="132"/>
der Flamme auf dem Haupte gegen die Men-<lb/>
&#x017F;chen zu&#x0364;rnte. Sein ganzes Genie konzentrirte<lb/>
&#x017F;ich auf die Vollendung einer Trago&#x0364;die, wo-<lb/>
rin die großen Gei&#x017F;ter der Men&#x017F;chheit deren<lb/>
Ko&#x0364;rper und bloße a&#x0364;ußere Hu&#x0364;lle &#x017F;ie gleich&#x017F;am<lb/>
nur er&#x017F;cheint, die Liebe, der Haß, die Zeit<lb/>
und die Ewigkeit als hohe geheimnißvolle Ge-<lb/>
&#x017F;talten auftraten, durch die &#x017F;tatt des Chors<lb/>
ein tragi&#x017F;cher Hanswur&#x017F;t, eine groteske und<lb/>
furchtbare Maske, hinlief. Der Tragiker<lb/>
hielt das &#x017F;cho&#x0364;ne Antliz des Lebens mit ei&#x017F;er-<lb/>
ner Fau&#x017F;t unverru&#x0364;kt vor &#x017F;einen großen Hohl-<lb/>
&#x017F;piegel, worinn es &#x017F;ich in wilde Zu&#x0364;ge verzerrte<lb/>
und gleich&#x017F;am &#x017F;eine Abgru&#x0364;nde offenbarte in den<lb/>
Furchen und ha&#x0364;ßlichen Runzeln die in die &#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
nen Wangen fielen; &#x017F;o zeichnete er&#x2019;s ab.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t gut, daß es viele nicht begriffen,<lb/>
denn in un&#x017F;erm Lorgnetten Zeitalter &#x017F;ind die<lb/>
gro&#x0364;ße&#x017F;ten Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;o entru&#x0364;kt worden, daß<lb/>
man &#x017F;ie ho&#x0364;ch&#x017F;tens nur noch in der Ferne un-<lb/>
deutlich durch die Vergro&#x0364;ßerungsgla&#x0364;&#x017F;er erkennt;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0134] der Flamme auf dem Haupte gegen die Men- ſchen zuͤrnte. Sein ganzes Genie konzentrirte ſich auf die Vollendung einer Tragoͤdie, wo- rin die großen Geiſter der Menſchheit deren Koͤrper und bloße aͤußere Huͤlle ſie gleichſam nur erſcheint, die Liebe, der Haß, die Zeit und die Ewigkeit als hohe geheimnißvolle Ge- ſtalten auftraten, durch die ſtatt des Chors ein tragiſcher Hanswurſt, eine groteske und furchtbare Maske, hinlief. Der Tragiker hielt das ſchoͤne Antliz des Lebens mit eiſer- ner Fauſt unverruͤkt vor ſeinen großen Hohl- ſpiegel, worinn es ſich in wilde Zuͤge verzerrte und gleichſam ſeine Abgruͤnde offenbarte in den Furchen und haͤßlichen Runzeln die in die ſchoͤ- nen Wangen fielen; ſo zeichnete er’s ab. Es iſt gut, daß es viele nicht begriffen, denn in unſerm Lorgnetten Zeitalter ſind die groͤßeſten Gegenſtaͤnde ſo entruͤkt worden, daß man ſie hoͤchſtens nur noch in der Ferne un- deutlich durch die Vergroͤßerungsglaͤſer erkennt;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/134
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/134>, abgerufen am 27.11.2024.