iuria oralis und zwar nach der Unterabtheilung b eine gesungene Injurie zur Last ge- legt. Ich dürfte schon hier einen Grund der Nullität der Anklage finden, indem Sänger offenbar sich zu der Kaste der Dichter zählen, und es diesen leztern, eben weil sie nach der neuern Schule keine Tendenz bezwecken, er- laubt sein müsse in ihrer Begeisterung zu in- juriiren und blasphemiren so viel sie nur woll- ten. Ja es dürfte einem Dichter und Sänger schon deshalb dies Verbrechen nicht zugerechnet werden, weil die Begeisterung der Trunkenheit gleichzusezen ist, die ohne weiteres, wenn der Trunkene sich nicht culpose in diesen Zustand versezt hat, welches offenbar bei einem Begei- sterten nicht anzunehmen ist, indem die Be- geisterung eine Gabe der Götter, von der Strafe befreit.-- Indeß will ich meine Vertheidigung noch bündiger formiren, und verweise sie deshalb auf die Schriften unserer vorzüglichsten neuern Rechtslehrer, in denen es bündig dargethan ist, daß die Gerechtigkeit
iuria oralis und zwar nach der Unterabtheilung β eine geſungene Injurie zur Laſt ge- legt. Ich duͤrfte ſchon hier einen Grund der Nullitaͤt der Anklage finden, indem Saͤnger offenbar ſich zu der Kaſte der Dichter zaͤhlen, und es dieſen leztern, eben weil ſie nach der neuern Schule keine Tendenz bezwecken, er- laubt ſein muͤſſe in ihrer Begeiſterung zu in- juriiren und blasphemiren ſo viel ſie nur woll- ten. Ja es duͤrfte einem Dichter und Saͤnger ſchon deshalb dies Verbrechen nicht zugerechnet werden, weil die Begeiſterung der Trunkenheit gleichzuſezen iſt, die ohne weiteres, wenn der Trunkene ſich nicht culpose in dieſen Zuſtand verſezt hat, welches offenbar bei einem Begei- ſterten nicht anzunehmen iſt, indem die Be- geiſterung eine Gabe der Goͤtter, von der Strafe befreit.— Indeß will ich meine Vertheidigung noch buͤndiger formiren, und verweiſe ſie deshalb auf die Schriften unſerer vorzuͤglichſten neuern Rechtslehrer, in denen es buͤndig dargethan iſt, daß die Gerechtigkeit
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iuria oralis und zwar nach der Unterabtheilung
β eine geſungene Injurie zur Laſt ge-
legt. Ich duͤrfte ſchon hier einen Grund der
Nullitaͤt der Anklage finden, indem Saͤnger
offenbar ſich zu der Kaſte der Dichter zaͤhlen,
und es dieſen leztern, eben weil ſie nach der
neuern Schule keine Tendenz bezwecken, er-
laubt ſein muͤſſe in ihrer Begeiſterung zu in-
juriiren und blasphemiren ſo viel ſie nur woll-
ten. Ja es duͤrfte einem Dichter und Saͤnger
ſchon deshalb dies Verbrechen nicht zugerechnet
werden, weil die Begeiſterung der Trunkenheit
gleichzuſezen iſt, die ohne weiteres, wenn der
Trunkene ſich nicht culpose in dieſen Zuſtand
verſezt hat, welches offenbar bei einem Begei-
ſterten nicht anzunehmen iſt, indem die Be-
geiſterung eine Gabe der Goͤtter, von der
Strafe befreit.— Indeß will ich meine
Vertheidigung noch buͤndiger formiren, und
verweiſe ſie deshalb auf die Schriften unſerer
vorzuͤglichſten neuern Rechtslehrer, in denen
es buͤndig dargethan iſt, daß die Gerechtigkeit
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/129>, abgerufen am 24.11.2024.
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