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Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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empfindlich und ohne auf sie zu achten auf dem Bette lag. Gustav richtete sich auf. Er warf einen Blick auf das in seinem Blut sich wälzende Mädchen; und die Wuth, die diese That veranlaßt hatte, machte auf natürliche Weise einem Gefühl gemeinen Mitleidens Platz. Hr. Strömli, heiße Thränen auf sein Schnupftuch niederweinend, fragte: Warum, Elender, hast du das gethan? Vetter Gustav, der von dem Bette aufgestanden war und das Mädchen, indem er sich den Schweiß von der Stirn abwischte, betrachtete, antwortete: daß sie ihn schändlicher Weise zur Nachtzeit gebunden und dem Neger Hoango übergeben habe. Ach! rief Toni und streckte mit einem unbeschreiblichen Blick ihre Hand nach ihm aus: dich, liebsten Freund, band ich, weil -- --! Aber sie konnte nicht reden und ihn auch mit der Hand nicht erreichen; sie fiel mit einer plötzlichen Erschlaffung der Kraft wieder auf den Schoß Herrn Strömli's zurück. Weshalb? fragte Gustav blaß, indem er zu ihr niederkniete. Herr Strömli, nach einer langen, nur durch das Röcheln Toni's unterbrochenen Pause, in welcher man vergebens auf eine Antwort von ihr gehofft hatte, nahm das Wort und sprach: Weil nach der Ankunft Hoango's dich Unglücklichen zu retten kein anderes Mittel war; weil sie den Kampf, den du unfehlbar eingegangen wärest, vermeiden, weil sie Zeit gewinnen wollte, bis wir, die wir schon vermöge ihrer Veranstaltung herbeieilten, deine Befreiung mit den Waffen in der Hand erzwingen konnten. Gustav legte die Hände vor sein Gesicht. O!

empfindlich und ohne auf sie zu achten auf dem Bette lag. Gustav richtete sich auf. Er warf einen Blick auf das in seinem Blut sich wälzende Mädchen; und die Wuth, die diese That veranlaßt hatte, machte auf natürliche Weise einem Gefühl gemeinen Mitleidens Platz. Hr. Strömli, heiße Thränen auf sein Schnupftuch niederweinend, fragte: Warum, Elender, hast du das gethan? Vetter Gustav, der von dem Bette aufgestanden war und das Mädchen, indem er sich den Schweiß von der Stirn abwischte, betrachtete, antwortete: daß sie ihn schändlicher Weise zur Nachtzeit gebunden und dem Neger Hoango übergeben habe. Ach! rief Toni und streckte mit einem unbeschreiblichen Blick ihre Hand nach ihm aus: dich, liebsten Freund, band ich, weil — —! Aber sie konnte nicht reden und ihn auch mit der Hand nicht erreichen; sie fiel mit einer plötzlichen Erschlaffung der Kraft wieder auf den Schoß Herrn Strömli's zurück. Weshalb? fragte Gustav blaß, indem er zu ihr niederkniete. Herr Strömli, nach einer langen, nur durch das Röcheln Toni's unterbrochenen Pause, in welcher man vergebens auf eine Antwort von ihr gehofft hatte, nahm das Wort und sprach: Weil nach der Ankunft Hoango's dich Unglücklichen zu retten kein anderes Mittel war; weil sie den Kampf, den du unfehlbar eingegangen wärest, vermeiden, weil sie Zeit gewinnen wollte, bis wir, die wir schon vermöge ihrer Veranstaltung herbeieilten, deine Befreiung mit den Waffen in der Hand erzwingen konnten. Gustav legte die Hände vor sein Gesicht. O!

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[0061] empfindlich und ohne auf sie zu achten auf dem Bette lag. Gustav richtete sich auf. Er warf einen Blick auf das in seinem Blut sich wälzende Mädchen; und die Wuth, die diese That veranlaßt hatte, machte auf natürliche Weise einem Gefühl gemeinen Mitleidens Platz. Hr. Strömli, heiße Thränen auf sein Schnupftuch niederweinend, fragte: Warum, Elender, hast du das gethan? Vetter Gustav, der von dem Bette aufgestanden war und das Mädchen, indem er sich den Schweiß von der Stirn abwischte, betrachtete, antwortete: daß sie ihn schändlicher Weise zur Nachtzeit gebunden und dem Neger Hoango übergeben habe. Ach! rief Toni und streckte mit einem unbeschreiblichen Blick ihre Hand nach ihm aus: dich, liebsten Freund, band ich, weil — —! Aber sie konnte nicht reden und ihn auch mit der Hand nicht erreichen; sie fiel mit einer plötzlichen Erschlaffung der Kraft wieder auf den Schoß Herrn Strömli's zurück. Weshalb? fragte Gustav blaß, indem er zu ihr niederkniete. Herr Strömli, nach einer langen, nur durch das Röcheln Toni's unterbrochenen Pause, in welcher man vergebens auf eine Antwort von ihr gehofft hatte, nahm das Wort und sprach: Weil nach der Ankunft Hoango's dich Unglücklichen zu retten kein anderes Mittel war; weil sie den Kampf, den du unfehlbar eingegangen wärest, vermeiden, weil sie Zeit gewinnen wollte, bis wir, die wir schon vermöge ihrer Veranstaltung herbeieilten, deine Befreiung mit den Waffen in der Hand erzwingen konnten. Gustav legte die Hände vor sein Gesicht. O!

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:20:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/61>, abgerufen am 25.11.2024.