Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Babekan, welcher Toni sich näherte und zum Abschied in einer Rührung, die sie nicht unterdrücken konnte, die Hand geben wollte, stieß Diese heftig von sich. Sie nannte sie eine Niederträchtige und Verrätherin und meinte, indem sie sich am Gestell des Tisches, an dem sie lag, umkehrte: die Rache Gottes würde sie, noch ehe sie ihrer Schandthat froh geworden, ereilen. Toni antwortete: Ich habe euch nicht verrathen; ich bin eine Weiße und dem Jüngling, den ihr gefangen haltet, verlobt; ich gehöre zu dem Geschlecht Derer, mit denen ihr im offenen Kriege liegt, und werde vor Gott, daß ich mich auf ihre Seite stellte, zu verantworten wissen. -- Hierauf gab Herr Strömli dem Neger Hoango, den er zur Sicherheit wieder hatte fesseln und an die Pfosten der Thüre festbinden lassen, eine Wache; er ließ den Diener, der mit zersplittertem Schulterknochen ohnmächtig am Boden lag, aufheben und wegtragen; und nachdem er dem Hoango noch gesagt hatte, daß er beide Kinder, den Nanky sowohl als den Seppy, nach Verlauf einiger Tage in Sainte Lüze, wo die ersten französischen Vorposten stünden, abholen lassen könne, nahm er Toni, die, von mancherlei Gefühlen bestürmt, sich nicht enthalten konnte zu weinen, bei der Hand, und führte sie unter den Flüchen Babekan's und des alten Hoango aus dem Schlafzimmer fort. Inzwischen waren Adelbert und Gottfried, Herrn Strömli's Söhne, schon nach Beendigung des ersten, an den Fenstern gefochtenen Hauptkampfes auf Befehl des Vaters in das Zimmer ihres Vetters Gustav geeilt, und Babekan, welcher Toni sich näherte und zum Abschied in einer Rührung, die sie nicht unterdrücken konnte, die Hand geben wollte, stieß Diese heftig von sich. Sie nannte sie eine Niederträchtige und Verrätherin und meinte, indem sie sich am Gestell des Tisches, an dem sie lag, umkehrte: die Rache Gottes würde sie, noch ehe sie ihrer Schandthat froh geworden, ereilen. Toni antwortete: Ich habe euch nicht verrathen; ich bin eine Weiße und dem Jüngling, den ihr gefangen haltet, verlobt; ich gehöre zu dem Geschlecht Derer, mit denen ihr im offenen Kriege liegt, und werde vor Gott, daß ich mich auf ihre Seite stellte, zu verantworten wissen. — Hierauf gab Herr Strömli dem Neger Hoango, den er zur Sicherheit wieder hatte fesseln und an die Pfosten der Thüre festbinden lassen, eine Wache; er ließ den Diener, der mit zersplittertem Schulterknochen ohnmächtig am Boden lag, aufheben und wegtragen; und nachdem er dem Hoango noch gesagt hatte, daß er beide Kinder, den Nanky sowohl als den Seppy, nach Verlauf einiger Tage in Sainte Lüze, wo die ersten französischen Vorposten stünden, abholen lassen könne, nahm er Toni, die, von mancherlei Gefühlen bestürmt, sich nicht enthalten konnte zu weinen, bei der Hand, und führte sie unter den Flüchen Babekan's und des alten Hoango aus dem Schlafzimmer fort. Inzwischen waren Adelbert und Gottfried, Herrn Strömli's Söhne, schon nach Beendigung des ersten, an den Fenstern gefochtenen Hauptkampfes auf Befehl des Vaters in das Zimmer ihres Vetters Gustav geeilt, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0058"/> Babekan, welcher Toni sich näherte und zum Abschied in einer Rührung, die sie nicht unterdrücken konnte, die Hand geben wollte, stieß Diese heftig von sich. Sie nannte sie eine Niederträchtige und Verrätherin und meinte, indem sie sich am Gestell des Tisches, an dem sie lag, umkehrte: die Rache Gottes würde sie, noch ehe sie ihrer Schandthat froh geworden, ereilen. Toni antwortete: Ich habe euch nicht verrathen; ich bin eine Weiße und dem Jüngling, den ihr gefangen haltet, verlobt; ich gehöre zu dem Geschlecht Derer, mit denen ihr im offenen Kriege liegt, und werde vor Gott, daß ich mich auf ihre Seite stellte, zu verantworten wissen. — Hierauf gab Herr Strömli dem Neger Hoango, den er zur Sicherheit wieder hatte fesseln und an die Pfosten der Thüre festbinden lassen, eine Wache; er ließ den Diener, der mit zersplittertem Schulterknochen ohnmächtig am Boden lag, aufheben und wegtragen; und nachdem er dem Hoango noch gesagt hatte, daß er beide Kinder, den Nanky sowohl als den Seppy, nach Verlauf einiger Tage in Sainte Lüze, wo die ersten französischen Vorposten stünden, abholen lassen könne, nahm er Toni, die, von mancherlei Gefühlen bestürmt, sich nicht enthalten konnte zu weinen, bei der Hand, und führte sie unter den Flüchen Babekan's und des alten Hoango aus dem Schlafzimmer fort.</p><lb/> <p>Inzwischen waren Adelbert und Gottfried, Herrn Strömli's Söhne, schon nach Beendigung des ersten, an den Fenstern gefochtenen Hauptkampfes auf Befehl des Vaters in das Zimmer ihres Vetters Gustav geeilt, und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0058]
Babekan, welcher Toni sich näherte und zum Abschied in einer Rührung, die sie nicht unterdrücken konnte, die Hand geben wollte, stieß Diese heftig von sich. Sie nannte sie eine Niederträchtige und Verrätherin und meinte, indem sie sich am Gestell des Tisches, an dem sie lag, umkehrte: die Rache Gottes würde sie, noch ehe sie ihrer Schandthat froh geworden, ereilen. Toni antwortete: Ich habe euch nicht verrathen; ich bin eine Weiße und dem Jüngling, den ihr gefangen haltet, verlobt; ich gehöre zu dem Geschlecht Derer, mit denen ihr im offenen Kriege liegt, und werde vor Gott, daß ich mich auf ihre Seite stellte, zu verantworten wissen. — Hierauf gab Herr Strömli dem Neger Hoango, den er zur Sicherheit wieder hatte fesseln und an die Pfosten der Thüre festbinden lassen, eine Wache; er ließ den Diener, der mit zersplittertem Schulterknochen ohnmächtig am Boden lag, aufheben und wegtragen; und nachdem er dem Hoango noch gesagt hatte, daß er beide Kinder, den Nanky sowohl als den Seppy, nach Verlauf einiger Tage in Sainte Lüze, wo die ersten französischen Vorposten stünden, abholen lassen könne, nahm er Toni, die, von mancherlei Gefühlen bestürmt, sich nicht enthalten konnte zu weinen, bei der Hand, und führte sie unter den Flüchen Babekan's und des alten Hoango aus dem Schlafzimmer fort.
Inzwischen waren Adelbert und Gottfried, Herrn Strömli's Söhne, schon nach Beendigung des ersten, an den Fenstern gefochtenen Hauptkampfes auf Befehl des Vaters in das Zimmer ihres Vetters Gustav geeilt, und
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Zitationshilfe: | Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/58>, abgerufen am 28.07.2024. |