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Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Fällen erprobt hatte, antwortete, es wäre wohl nicht möglich. Und: Kelly! rief er wüthend, und Omra! nehmt eure Büchsen! Und damit, ohne weiter ein Wort zu sagen, stieg er im Gefolge aller seiner Neger die Treppe hinauf und begab sich in das Zimmer des Fremden.

Toni, vor deren Augen sich während weniger Minuten dieser ganze Auftritt abgespielt hatte, stand, gelähmt an allen Gliedern, als ob sie ein Wetterstrahl getroffen hätte, da. Sie dachte einen Augenblick daran, den Fremden zu wecken; doch theils war wegen Besetzung des Hofraums keine Flucht für ihn möglich, theils auch sah sie voraus, daß er zu den Waffen greifen und somit bei der Ueberlegenheit der Neger Zubodenstreckung unmittelbar sein Loos sein würde. Ja, die entsetzlichste Rücksicht, die sie zu nehmen genöthigt war, war diese, daß der Unglückliche sie selbst, wenn er sie in dieser Stunde bei seinem Bette fände, für eine Verrätherin halten und, statt auf ihren Rath zu hören, in der Raserei eines so heillosen Wahns dem Neger Hoango völlig besinnungslos in die Arme laufen würde. In dieser unaussprechlichen Angst fiel ihr ein Strick in die Augen, welcher, der Himmel weiß durch welchen Zufall, an dem Riegel der Wand hing. Gott selbst, meinte sie, indem sie ihn herabriß, hätte ihn zu ihrer und des Freundes Rettung dahin geführt. Sie umschlang den Jüngling, vielfache Knoten schürzend, an Händen und Füßen damit; und nachdem sie, ohne darauf zu achten, daß er sich

Fällen erprobt hatte, antwortete, es wäre wohl nicht möglich. Und: Kelly! rief er wüthend, und Omra! nehmt eure Büchsen! Und damit, ohne weiter ein Wort zu sagen, stieg er im Gefolge aller seiner Neger die Treppe hinauf und begab sich in das Zimmer des Fremden.

Toni, vor deren Augen sich während weniger Minuten dieser ganze Auftritt abgespielt hatte, stand, gelähmt an allen Gliedern, als ob sie ein Wetterstrahl getroffen hätte, da. Sie dachte einen Augenblick daran, den Fremden zu wecken; doch theils war wegen Besetzung des Hofraums keine Flucht für ihn möglich, theils auch sah sie voraus, daß er zu den Waffen greifen und somit bei der Ueberlegenheit der Neger Zubodenstreckung unmittelbar sein Loos sein würde. Ja, die entsetzlichste Rücksicht, die sie zu nehmen genöthigt war, war diese, daß der Unglückliche sie selbst, wenn er sie in dieser Stunde bei seinem Bette fände, für eine Verrätherin halten und, statt auf ihren Rath zu hören, in der Raserei eines so heillosen Wahns dem Neger Hoango völlig besinnungslos in die Arme laufen würde. In dieser unaussprechlichen Angst fiel ihr ein Strick in die Augen, welcher, der Himmel weiß durch welchen Zufall, an dem Riegel der Wand hing. Gott selbst, meinte sie, indem sie ihn herabriß, hätte ihn zu ihrer und des Freundes Rettung dahin geführt. Sie umschlang den Jüngling, vielfache Knoten schürzend, an Händen und Füßen damit; und nachdem sie, ohne darauf zu achten, daß er sich

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:20:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:20:21Z)

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Zitationshilfe: Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/48>, abgerufen am 24.11.2024.