Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Unmenschlichkeiten, an denen ihr mich Theil zu nehmen zwingt, empörten längst mein innerstes Gefühl, und um mir Gottes Rache wegen Alles, was vorgefallen, zu versöhnen, so schwöre ich dir, daß ich eher zehnfachen Todes sterben als zugeben werde, daß diesem Jünglinge, so lange er sich in unserem Hause befindet, auch nur ein Haar gekrümmt werde. -- Wohlan, sagte die Alte mit einem plötzlichen Ausdruck von Nachgiebigkeit, so mag der Fremde reisen! Aber wenn Congo Hoango zurückkömmt, setzte sie hinzu, indem sie, um das Zimmer zu verlassen, aufstand, -- und erfährt, daß ein Weißer in unserm Hause übernachtet hat, so magst du das Mitleiden, das dich bewog, ihn gegen das ausdrückliche Gebot wieder abziehen zu lassen, verantworten. Auf diese Aeußerung, bei welcher, trotz aller scheinbaren Milde, der Ingrimm der Alten heimlich hervorbrach, blieb das Mädchen in nicht geringer Bestürzung im Zimmer zurück. Sie kannte den Haß der Alten gegen die Weißen zu gut, als daß sie hätte glauben können, sie werde eine solche Gelegenheit, ihn zu sättigen, ungenutzt vorübergehen lassen. Furcht, daß sie sogleich in die benachbarten Pflanzungen schicken und die Neger zur Ueberwältigung des Fremden herbeirufen möchte, bewog sie, sich anzukleiden und ihr unverzüglich in das untere Wohnzimmer zu folgen. Sie stellte sich, während diese verstört den Speiseschrank, bei welchem sie ein Geschäft zu haben schien, verließ und sich an einen Spinnrocken niedersetzte, vor das an die Thür geschlagene Mandat, Unmenschlichkeiten, an denen ihr mich Theil zu nehmen zwingt, empörten längst mein innerstes Gefühl, und um mir Gottes Rache wegen Alles, was vorgefallen, zu versöhnen, so schwöre ich dir, daß ich eher zehnfachen Todes sterben als zugeben werde, daß diesem Jünglinge, so lange er sich in unserem Hause befindet, auch nur ein Haar gekrümmt werde. — Wohlan, sagte die Alte mit einem plötzlichen Ausdruck von Nachgiebigkeit, so mag der Fremde reisen! Aber wenn Congo Hoango zurückkömmt, setzte sie hinzu, indem sie, um das Zimmer zu verlassen, aufstand, — und erfährt, daß ein Weißer in unserm Hause übernachtet hat, so magst du das Mitleiden, das dich bewog, ihn gegen das ausdrückliche Gebot wieder abziehen zu lassen, verantworten. Auf diese Aeußerung, bei welcher, trotz aller scheinbaren Milde, der Ingrimm der Alten heimlich hervorbrach, blieb das Mädchen in nicht geringer Bestürzung im Zimmer zurück. Sie kannte den Haß der Alten gegen die Weißen zu gut, als daß sie hätte glauben können, sie werde eine solche Gelegenheit, ihn zu sättigen, ungenutzt vorübergehen lassen. Furcht, daß sie sogleich in die benachbarten Pflanzungen schicken und die Neger zur Ueberwältigung des Fremden herbeirufen möchte, bewog sie, sich anzukleiden und ihr unverzüglich in das untere Wohnzimmer zu folgen. Sie stellte sich, während diese verstört den Speiseschrank, bei welchem sie ein Geschäft zu haben schien, verließ und sich an einen Spinnrocken niedersetzte, vor das an die Thür geschlagene Mandat, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0037"/> Unmenschlichkeiten, an denen ihr mich Theil zu nehmen zwingt, empörten längst mein innerstes Gefühl, und um mir Gottes Rache wegen Alles, was vorgefallen, zu versöhnen, so schwöre ich dir, daß ich eher zehnfachen Todes sterben als zugeben werde, daß diesem Jünglinge, so lange er sich in unserem Hause befindet, auch nur ein Haar gekrümmt werde. — Wohlan, sagte die Alte mit einem plötzlichen Ausdruck von Nachgiebigkeit, so mag der Fremde reisen! Aber wenn Congo Hoango zurückkömmt, setzte sie hinzu, indem sie, um das Zimmer zu verlassen, aufstand, — und erfährt, daß ein Weißer in unserm Hause übernachtet hat, so magst du das Mitleiden, das dich bewog, ihn gegen das ausdrückliche Gebot wieder abziehen zu lassen, verantworten.</p><lb/> <p>Auf diese Aeußerung, bei welcher, trotz aller scheinbaren Milde, der Ingrimm der Alten heimlich hervorbrach, blieb das Mädchen in nicht geringer Bestürzung im Zimmer zurück. Sie kannte den Haß der Alten gegen die Weißen zu gut, als daß sie hätte glauben können, sie werde eine solche Gelegenheit, ihn zu sättigen, ungenutzt vorübergehen lassen. Furcht, daß sie sogleich in die benachbarten Pflanzungen schicken und die Neger zur Ueberwältigung des Fremden herbeirufen möchte, bewog sie, sich anzukleiden und ihr unverzüglich in das untere Wohnzimmer zu folgen. Sie stellte sich, während diese verstört den Speiseschrank, bei welchem sie ein Geschäft zu haben schien, verließ und sich an einen Spinnrocken niedersetzte, vor das an die Thür geschlagene Mandat,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0037]
Unmenschlichkeiten, an denen ihr mich Theil zu nehmen zwingt, empörten längst mein innerstes Gefühl, und um mir Gottes Rache wegen Alles, was vorgefallen, zu versöhnen, so schwöre ich dir, daß ich eher zehnfachen Todes sterben als zugeben werde, daß diesem Jünglinge, so lange er sich in unserem Hause befindet, auch nur ein Haar gekrümmt werde. — Wohlan, sagte die Alte mit einem plötzlichen Ausdruck von Nachgiebigkeit, so mag der Fremde reisen! Aber wenn Congo Hoango zurückkömmt, setzte sie hinzu, indem sie, um das Zimmer zu verlassen, aufstand, — und erfährt, daß ein Weißer in unserm Hause übernachtet hat, so magst du das Mitleiden, das dich bewog, ihn gegen das ausdrückliche Gebot wieder abziehen zu lassen, verantworten.
Auf diese Aeußerung, bei welcher, trotz aller scheinbaren Milde, der Ingrimm der Alten heimlich hervorbrach, blieb das Mädchen in nicht geringer Bestürzung im Zimmer zurück. Sie kannte den Haß der Alten gegen die Weißen zu gut, als daß sie hätte glauben können, sie werde eine solche Gelegenheit, ihn zu sättigen, ungenutzt vorübergehen lassen. Furcht, daß sie sogleich in die benachbarten Pflanzungen schicken und die Neger zur Ueberwältigung des Fremden herbeirufen möchte, bewog sie, sich anzukleiden und ihr unverzüglich in das untere Wohnzimmer zu folgen. Sie stellte sich, während diese verstört den Speiseschrank, bei welchem sie ein Geschäft zu haben schien, verließ und sich an einen Spinnrocken niedersetzte, vor das an die Thür geschlagene Mandat,
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Zitationshilfe: | Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/37>, abgerufen am 06.07.2024. |