Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

den Fremden während dieser Zeit in dem Hause hinzuhalten, ohne die Familie seiner Angehörigen, deren Gegenwart ihrer Menge wegen gefährlich werden könnte, darin zuzulassen. Zu diesem Zweck, sprach sie, habe sie erdacht, dem Fremden vorzuspiegeln, daß einer so eben eingelaufenen Nachricht zufolge der General Dessalines sich mit seinem Heer in diese Gegend wenden werde und daß man mithin wegen allzugroßer Gefahr erst am dritten Tage, wenn er vorüber wäre, würde möglich machen können, die Familie seinem Wunsche gemäß in dem Hause aufzunehmen. Die Gesellschaft selbst, schloß sie, müsse inzwischen, damit sie nicht weiter reise, mit Lebensmitteln versorgt und gleichfalls, um sich ihrer späterhin zu bemächtigen, in dem Wahn, daß sie eine Zuflucht in dem Hause finden werde, hingehalten werden. Sie bemerkte, daß die Sache wichtig sei, indem die Familie wahrscheinlich beträchtliche Habseligkeiten mit sich führe, und forderte die Tochter auf, sie aus allen Kräften in dem Vorhaben, das sie ihr angegeben, zu unterstützen. Toni, halb im Bette aufgerichtet, indem die Röthe des Unwillens ihr Gesicht überflog, versetzte, daß es schändlich und niederträchtig wäre, das Gastrecht an Personen, die man in das Haus gelockt, also zu verletzen. Sie meinte, daß ein Verfolgter, der sich ihrem Schutze anvertraut, doppelt sicher bei ihnen sein sollte, und versicherte, daß, wenn sie den blutigen Anschlag, den sie ihr geäußert, nicht aufgäbe, sie auf der Stelle hingehen und dem Fremden anzeigen würde, welch eine Mördergrube das Haus

den Fremden während dieser Zeit in dem Hause hinzuhalten, ohne die Familie seiner Angehörigen, deren Gegenwart ihrer Menge wegen gefährlich werden könnte, darin zuzulassen. Zu diesem Zweck, sprach sie, habe sie erdacht, dem Fremden vorzuspiegeln, daß einer so eben eingelaufenen Nachricht zufolge der General Dessalines sich mit seinem Heer in diese Gegend wenden werde und daß man mithin wegen allzugroßer Gefahr erst am dritten Tage, wenn er vorüber wäre, würde möglich machen können, die Familie seinem Wunsche gemäß in dem Hause aufzunehmen. Die Gesellschaft selbst, schloß sie, müsse inzwischen, damit sie nicht weiter reise, mit Lebensmitteln versorgt und gleichfalls, um sich ihrer späterhin zu bemächtigen, in dem Wahn, daß sie eine Zuflucht in dem Hause finden werde, hingehalten werden. Sie bemerkte, daß die Sache wichtig sei, indem die Familie wahrscheinlich beträchtliche Habseligkeiten mit sich führe, und forderte die Tochter auf, sie aus allen Kräften in dem Vorhaben, das sie ihr angegeben, zu unterstützen. Toni, halb im Bette aufgerichtet, indem die Röthe des Unwillens ihr Gesicht überflog, versetzte, daß es schändlich und niederträchtig wäre, das Gastrecht an Personen, die man in das Haus gelockt, also zu verletzen. Sie meinte, daß ein Verfolgter, der sich ihrem Schutze anvertraut, doppelt sicher bei ihnen sein sollte, und versicherte, daß, wenn sie den blutigen Anschlag, den sie ihr geäußert, nicht aufgäbe, sie auf der Stelle hingehen und dem Fremden anzeigen würde, welch eine Mördergrube das Haus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0035"/>
den                Fremden während dieser Zeit in dem Hause hinzuhalten, ohne die Familie seiner                Angehörigen, deren Gegenwart ihrer Menge wegen gefährlich werden könnte, darin                zuzulassen. Zu diesem Zweck, sprach sie, habe sie erdacht, dem Fremden vorzuspiegeln,                daß einer so eben eingelaufenen Nachricht zufolge der General Dessalines sich mit                seinem Heer in diese Gegend wenden werde und daß man mithin wegen allzugroßer Gefahr                erst am dritten Tage, wenn er vorüber wäre, würde möglich machen können, die Familie                seinem Wunsche gemäß in dem Hause aufzunehmen. Die Gesellschaft selbst, schloß sie,                müsse inzwischen, damit sie nicht weiter reise, mit Lebensmitteln versorgt und                gleichfalls, um sich ihrer späterhin zu bemächtigen, in dem Wahn, daß sie eine                Zuflucht in dem Hause finden werde, hingehalten werden. Sie bemerkte, daß die Sache                wichtig sei, indem die Familie wahrscheinlich beträchtliche Habseligkeiten mit sich                führe, und forderte die Tochter auf, sie aus allen Kräften in dem Vorhaben, das sie                ihr angegeben, zu unterstützen. Toni, halb im Bette aufgerichtet, indem die Röthe des                Unwillens ihr Gesicht überflog, versetzte, daß es schändlich und niederträchtig wäre,                das Gastrecht an Personen, die man in das Haus gelockt, also zu verletzen. Sie                meinte, daß ein Verfolgter, der sich ihrem Schutze anvertraut, doppelt sicher bei                ihnen sein sollte, und versicherte, daß, wenn sie den blutigen Anschlag, den sie ihr                geäußert, nicht aufgäbe, sie auf der Stelle hingehen und dem Fremden anzeigen würde,                welch eine Mördergrube das Haus<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0035] den Fremden während dieser Zeit in dem Hause hinzuhalten, ohne die Familie seiner Angehörigen, deren Gegenwart ihrer Menge wegen gefährlich werden könnte, darin zuzulassen. Zu diesem Zweck, sprach sie, habe sie erdacht, dem Fremden vorzuspiegeln, daß einer so eben eingelaufenen Nachricht zufolge der General Dessalines sich mit seinem Heer in diese Gegend wenden werde und daß man mithin wegen allzugroßer Gefahr erst am dritten Tage, wenn er vorüber wäre, würde möglich machen können, die Familie seinem Wunsche gemäß in dem Hause aufzunehmen. Die Gesellschaft selbst, schloß sie, müsse inzwischen, damit sie nicht weiter reise, mit Lebensmitteln versorgt und gleichfalls, um sich ihrer späterhin zu bemächtigen, in dem Wahn, daß sie eine Zuflucht in dem Hause finden werde, hingehalten werden. Sie bemerkte, daß die Sache wichtig sei, indem die Familie wahrscheinlich beträchtliche Habseligkeiten mit sich führe, und forderte die Tochter auf, sie aus allen Kräften in dem Vorhaben, das sie ihr angegeben, zu unterstützen. Toni, halb im Bette aufgerichtet, indem die Röthe des Unwillens ihr Gesicht überflog, versetzte, daß es schändlich und niederträchtig wäre, das Gastrecht an Personen, die man in das Haus gelockt, also zu verletzen. Sie meinte, daß ein Verfolgter, der sich ihrem Schutze anvertraut, doppelt sicher bei ihnen sein sollte, und versicherte, daß, wenn sie den blutigen Anschlag, den sie ihr geäußert, nicht aufgäbe, sie auf der Stelle hingehen und dem Fremden anzeigen würde, welch eine Mördergrube das Haus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:20:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:20:21Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/35
Zitationshilfe: Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/35>, abgerufen am 24.11.2024.