Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Thüre geöffnet hätte, er würde sie für eine Negerin gehalten haben. -- Der Fremde, indem er den Arm sanft um ihren Leib schlug, sagte verlegen, daß der Hut, den sie aufgehabt, ihn verhindert hätte, ihr ins Gesicht zu schauen. Hätte ich dir, fuhr er fort, indem er sie lebhaft an seine Brust drückte, ins Auge sehen können, so wie ich es jetzt kann: so hätte ich, auch wenn alles Uebrige an dir schwarz gewesen wäre, aus einem vergifteten Becher mit dir trinken wollen. -- Die Mutter nöthigte ihn, der bei diesen Worten roth geworden war, sich zu setzen, worauf Toni sich neben ihm an der Tafel niederließ und mit aufgestützten Armen, während der Fremde aß, in sein Antlitz sah. Der Fremde fragte sie, wie alt sie wäre? und wie ihre Vaterstadt hieße? worauf die Mutter das Wort nahm und ihm sagte, daß Toni vor fünfzehn Jahren auf einer Reise, welche sie mit der Frau des Hrn. Villeneuve, ihres vormaligen Principals, nach Europa gemacht hätte, in Paris von ihr empfangen und geboren worden wäre. Sie setzte hinzu, daß der Neger Komar, den sie nachher geheiratet, sie zwar an Kindesstatt angenommen hätte, daß ihr Vater aber eigentlich ein reicher Marseiller Kaufmann, Namens Bertrand, wäre, von dem sie auch Toni Bertrand hieße. -- Toni fragte ihn, ob er einen solchen Herrn in Frankreich kenne. Der Fremde erwiderte: nein! das Land wäre groß, und während des kurzen Aufenthalts, den er bei seiner Einschiffung nach Westindien darin genommen, sei ihm keine Person dieses Namens vorgekommen. Thüre geöffnet hätte, er würde sie für eine Negerin gehalten haben. — Der Fremde, indem er den Arm sanft um ihren Leib schlug, sagte verlegen, daß der Hut, den sie aufgehabt, ihn verhindert hätte, ihr ins Gesicht zu schauen. Hätte ich dir, fuhr er fort, indem er sie lebhaft an seine Brust drückte, ins Auge sehen können, so wie ich es jetzt kann: so hätte ich, auch wenn alles Uebrige an dir schwarz gewesen wäre, aus einem vergifteten Becher mit dir trinken wollen. — Die Mutter nöthigte ihn, der bei diesen Worten roth geworden war, sich zu setzen, worauf Toni sich neben ihm an der Tafel niederließ und mit aufgestützten Armen, während der Fremde aß, in sein Antlitz sah. Der Fremde fragte sie, wie alt sie wäre? und wie ihre Vaterstadt hieße? worauf die Mutter das Wort nahm und ihm sagte, daß Toni vor fünfzehn Jahren auf einer Reise, welche sie mit der Frau des Hrn. Villeneuve, ihres vormaligen Principals, nach Europa gemacht hätte, in Paris von ihr empfangen und geboren worden wäre. Sie setzte hinzu, daß der Neger Komar, den sie nachher geheiratet, sie zwar an Kindesstatt angenommen hätte, daß ihr Vater aber eigentlich ein reicher Marseiller Kaufmann, Namens Bertrand, wäre, von dem sie auch Toni Bertrand hieße. — Toni fragte ihn, ob er einen solchen Herrn in Frankreich kenne. Der Fremde erwiderte: nein! das Land wäre groß, und während des kurzen Aufenthalts, den er bei seiner Einschiffung nach Westindien darin genommen, sei ihm keine Person dieses Namens vorgekommen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0022"/> Thüre geöffnet hätte, er würde sie für eine Negerin gehalten haben. — Der Fremde, indem er den Arm sanft um ihren Leib schlug, sagte verlegen, daß der Hut, den sie aufgehabt, ihn verhindert hätte, ihr ins Gesicht zu schauen. Hätte ich dir, fuhr er fort, indem er sie lebhaft an seine Brust drückte, ins Auge sehen können, so wie ich es jetzt kann: so hätte ich, auch wenn alles Uebrige an dir schwarz gewesen wäre, aus einem vergifteten Becher mit dir trinken wollen. — Die Mutter nöthigte ihn, der bei diesen Worten roth geworden war, sich zu setzen, worauf Toni sich neben ihm an der Tafel niederließ und mit aufgestützten Armen, während der Fremde aß, in sein Antlitz sah. Der Fremde fragte sie, wie alt sie wäre? und wie ihre Vaterstadt hieße? worauf die Mutter das Wort nahm und ihm sagte, daß Toni vor fünfzehn Jahren auf einer Reise, welche sie mit der Frau des Hrn. Villeneuve, ihres vormaligen Principals, nach Europa gemacht hätte, in Paris von ihr empfangen und geboren worden wäre. Sie setzte hinzu, daß der Neger Komar, den sie nachher geheiratet, sie zwar an Kindesstatt angenommen hätte, daß ihr Vater aber eigentlich ein reicher Marseiller Kaufmann, Namens Bertrand, wäre, von dem sie auch Toni Bertrand hieße. — Toni fragte ihn, ob er einen solchen Herrn in Frankreich kenne. Der Fremde erwiderte: nein! das Land wäre groß, und während des kurzen Aufenthalts, den er bei seiner Einschiffung nach Westindien darin genommen, sei ihm keine Person dieses Namens vorgekommen.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Thüre geöffnet hätte, er würde sie für eine Negerin gehalten haben. — Der Fremde, indem er den Arm sanft um ihren Leib schlug, sagte verlegen, daß der Hut, den sie aufgehabt, ihn verhindert hätte, ihr ins Gesicht zu schauen. Hätte ich dir, fuhr er fort, indem er sie lebhaft an seine Brust drückte, ins Auge sehen können, so wie ich es jetzt kann: so hätte ich, auch wenn alles Uebrige an dir schwarz gewesen wäre, aus einem vergifteten Becher mit dir trinken wollen. — Die Mutter nöthigte ihn, der bei diesen Worten roth geworden war, sich zu setzen, worauf Toni sich neben ihm an der Tafel niederließ und mit aufgestützten Armen, während der Fremde aß, in sein Antlitz sah. Der Fremde fragte sie, wie alt sie wäre? und wie ihre Vaterstadt hieße? worauf die Mutter das Wort nahm und ihm sagte, daß Toni vor fünfzehn Jahren auf einer Reise, welche sie mit der Frau des Hrn. Villeneuve, ihres vormaligen Principals, nach Europa gemacht hätte, in Paris von ihr empfangen und geboren worden wäre. Sie setzte hinzu, daß der Neger Komar, den sie nachher geheiratet, sie zwar an Kindesstatt angenommen hätte, daß ihr Vater aber eigentlich ein reicher Marseiller Kaufmann, Namens Bertrand, wäre, von dem sie auch Toni Bertrand hieße. — Toni fragte ihn, ob er einen solchen Herrn in Frankreich kenne. Der Fremde erwiderte: nein! das Land wäre groß, und während des kurzen Aufenthalts, den er bei seiner Einschiffung nach Westindien darin genommen, sei ihm keine Person dieses Namens vorgekommen.
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Zitationshilfe: | Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/22>, abgerufen am 06.07.2024. |