Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.erholten? -- Junger Herr! sprach die Alte betroffen, was verlangt Ihr da? Wie ist es in einem Hause, das an der Landstraße liegt, möglich, einen Troß von solcher Größe, als der Eurige ist, zu beherbergen, ohne daß er den Einwohnern des Landes verrathen würde? -- Warum nicht? versetzte der Fremde dringend: wenn ich sogleich selbst an den Möwenweiher hinausginge und die Gesellschaft noch vor Anbruch des Tages in die Niederlassung einführte; wenn man Alles, Herrschaft und Dienerschaft, in einem und demselben Gemach des Hauses unterbrächte und für den schlimmsten Fall etwa noch die Vorsicht gebrauchte, Thüren und Fenster desselben sorgfältig zu verschließen? -- Die Alte erwiderte, nachdem sie den Vorschlag während einiger Zeit erwogen hatte, daß, wenn er in der heutigen Nacht unternehmen wollte, den Troß aus seiner Bergschlucht in die Niederlassung einzuführen, er bei der Rückkehr von dort unfehlbar auf einen Trupp bewaffneter Neger stoßen würde, der durch einige vorangeschickte Schützen auf der Heerstraße angesagt worden wäre. -- Wohlan! versetzte der Fremde, so begnügen wir uns für diesen Augenblick, den Unglücklichen einen Korb mit Lebensmitteln zuzusenden, und sparen das Geschäft, sie in die Niederlassung einzuführen, für die nächstfolgende Nacht auf. Wollt Ihr, gutes Mütterchen, das thun? -- Nun, sprach die Alte unter vielfachen Küssen, die von den Lippen des Fremden auf ihre knöcherne Hand niederregneten: um des Europäers, meiner Tochter Vater willen, will ich Euch, seinen be- erholten? — Junger Herr! sprach die Alte betroffen, was verlangt Ihr da? Wie ist es in einem Hause, das an der Landstraße liegt, möglich, einen Troß von solcher Größe, als der Eurige ist, zu beherbergen, ohne daß er den Einwohnern des Landes verrathen würde? — Warum nicht? versetzte der Fremde dringend: wenn ich sogleich selbst an den Möwenweiher hinausginge und die Gesellschaft noch vor Anbruch des Tages in die Niederlassung einführte; wenn man Alles, Herrschaft und Dienerschaft, in einem und demselben Gemach des Hauses unterbrächte und für den schlimmsten Fall etwa noch die Vorsicht gebrauchte, Thüren und Fenster desselben sorgfältig zu verschließen? — Die Alte erwiderte, nachdem sie den Vorschlag während einiger Zeit erwogen hatte, daß, wenn er in der heutigen Nacht unternehmen wollte, den Troß aus seiner Bergschlucht in die Niederlassung einzuführen, er bei der Rückkehr von dort unfehlbar auf einen Trupp bewaffneter Neger stoßen würde, der durch einige vorangeschickte Schützen auf der Heerstraße angesagt worden wäre. — Wohlan! versetzte der Fremde, so begnügen wir uns für diesen Augenblick, den Unglücklichen einen Korb mit Lebensmitteln zuzusenden, und sparen das Geschäft, sie in die Niederlassung einzuführen, für die nächstfolgende Nacht auf. Wollt Ihr, gutes Mütterchen, das thun? — Nun, sprach die Alte unter vielfachen Küssen, die von den Lippen des Fremden auf ihre knöcherne Hand niederregneten: um des Europäers, meiner Tochter Vater willen, will ich Euch, seinen be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0020"/> erholten? — Junger Herr! sprach die Alte betroffen, was verlangt Ihr da? Wie ist es in einem Hause, das an der Landstraße liegt, möglich, einen Troß von solcher Größe, als der Eurige ist, zu beherbergen, ohne daß er den Einwohnern des Landes verrathen würde? — Warum nicht? versetzte der Fremde dringend: wenn ich sogleich selbst an den Möwenweiher hinausginge und die Gesellschaft noch vor Anbruch des Tages in die Niederlassung einführte; wenn man Alles, Herrschaft und Dienerschaft, in einem und demselben Gemach des Hauses unterbrächte und für den schlimmsten Fall etwa noch die Vorsicht gebrauchte, Thüren und Fenster desselben sorgfältig zu verschließen? — Die Alte erwiderte, nachdem sie den Vorschlag während einiger Zeit erwogen hatte, daß, wenn er in der heutigen Nacht unternehmen wollte, den Troß aus seiner Bergschlucht in die Niederlassung einzuführen, er bei der Rückkehr von dort unfehlbar auf einen Trupp bewaffneter Neger stoßen würde, der durch einige vorangeschickte Schützen auf der Heerstraße angesagt worden wäre. — Wohlan! versetzte der Fremde, so begnügen wir uns für diesen Augenblick, den Unglücklichen einen Korb mit Lebensmitteln zuzusenden, und sparen das Geschäft, sie in die Niederlassung einzuführen, für die nächstfolgende Nacht auf. Wollt Ihr, gutes Mütterchen, das thun? — Nun, sprach die Alte unter vielfachen Küssen, die von den Lippen des Fremden auf ihre knöcherne Hand niederregneten: um des Europäers, meiner Tochter Vater willen, will ich Euch, seinen be-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
erholten? — Junger Herr! sprach die Alte betroffen, was verlangt Ihr da? Wie ist es in einem Hause, das an der Landstraße liegt, möglich, einen Troß von solcher Größe, als der Eurige ist, zu beherbergen, ohne daß er den Einwohnern des Landes verrathen würde? — Warum nicht? versetzte der Fremde dringend: wenn ich sogleich selbst an den Möwenweiher hinausginge und die Gesellschaft noch vor Anbruch des Tages in die Niederlassung einführte; wenn man Alles, Herrschaft und Dienerschaft, in einem und demselben Gemach des Hauses unterbrächte und für den schlimmsten Fall etwa noch die Vorsicht gebrauchte, Thüren und Fenster desselben sorgfältig zu verschließen? — Die Alte erwiderte, nachdem sie den Vorschlag während einiger Zeit erwogen hatte, daß, wenn er in der heutigen Nacht unternehmen wollte, den Troß aus seiner Bergschlucht in die Niederlassung einzuführen, er bei der Rückkehr von dort unfehlbar auf einen Trupp bewaffneter Neger stoßen würde, der durch einige vorangeschickte Schützen auf der Heerstraße angesagt worden wäre. — Wohlan! versetzte der Fremde, so begnügen wir uns für diesen Augenblick, den Unglücklichen einen Korb mit Lebensmitteln zuzusenden, und sparen das Geschäft, sie in die Niederlassung einzuführen, für die nächstfolgende Nacht auf. Wollt Ihr, gutes Mütterchen, das thun? — Nun, sprach die Alte unter vielfachen Küssen, die von den Lippen des Fremden auf ihre knöcherne Hand niederregneten: um des Europäers, meiner Tochter Vater willen, will ich Euch, seinen be-
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Zitationshilfe: | Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/20>, abgerufen am 06.07.2024. |