Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.aus, um ein wenig Brod und Wein bei den Einwohnern des Landes aufzutreiben; Furcht, ergriffen und getödtet zu werden, hielt sie ab, die entscheidenden Schritte deshalb zu thun, dergestalt, daß ich mich selbst heute mit Gefahr meines Lebens habe aufmachen müssen, um mein Glück zu versuchen. Der Himmel, wenn mich nicht Alles trügt, fuhr er fort, indem er die Hand der Alten drückte, hat mich mitleidigen Menschen zugeführt, die jene grausame und unerhörte Erbitterung, welche alle Einwohner dieser Insel ergriffen hat, nicht theilen. Habt die Gefälligkeit, mir für reichlichen Lohn einige Körbe mit Lebensmitteln und Erfrischungen anzufüllen; wir haben nur noch fünf Tagereisen bis Port au Prince, und wenn Ihr uns die Mittel verschafft, diese Stadt zu erreichen so werden wir Euch ewig als die Retter unseres Lebens ansehen. -- Ja, diese rasende Erbitterung, heuchelte die Alte. Ist es nicht, als ob die Hände Eines Körpers oder die Zähne Eines Mundes gegen einander wüthen wollten, weil das eine Glied nicht geschaffen ist, wie das andere? Was kann ich, deren Vater aus St. Jago von der Insel Cuba war, für den Schimmer von Licht, der auf meinem Antlitz, wenn es Tag wird, erdämmert? Und was kann meine Tochter, die in Europa empfangen und geboren ist, dafür, daß der volle Tag jenes Welttheils von dem ihrigen wiederscheint? -- Wie? rief der Fremde, Ihr, die Ihr nach Eurer ganzen Gesichtsbildung eine Mulattin und mithin afrikanischen Ursprungs seid, Ihr wäret sammt der lieblichen jungen Mestize, aus, um ein wenig Brod und Wein bei den Einwohnern des Landes aufzutreiben; Furcht, ergriffen und getödtet zu werden, hielt sie ab, die entscheidenden Schritte deshalb zu thun, dergestalt, daß ich mich selbst heute mit Gefahr meines Lebens habe aufmachen müssen, um mein Glück zu versuchen. Der Himmel, wenn mich nicht Alles trügt, fuhr er fort, indem er die Hand der Alten drückte, hat mich mitleidigen Menschen zugeführt, die jene grausame und unerhörte Erbitterung, welche alle Einwohner dieser Insel ergriffen hat, nicht theilen. Habt die Gefälligkeit, mir für reichlichen Lohn einige Körbe mit Lebensmitteln und Erfrischungen anzufüllen; wir haben nur noch fünf Tagereisen bis Port au Prince, und wenn Ihr uns die Mittel verschafft, diese Stadt zu erreichen so werden wir Euch ewig als die Retter unseres Lebens ansehen. — Ja, diese rasende Erbitterung, heuchelte die Alte. Ist es nicht, als ob die Hände Eines Körpers oder die Zähne Eines Mundes gegen einander wüthen wollten, weil das eine Glied nicht geschaffen ist, wie das andere? Was kann ich, deren Vater aus St. Jago von der Insel Cuba war, für den Schimmer von Licht, der auf meinem Antlitz, wenn es Tag wird, erdämmert? Und was kann meine Tochter, die in Europa empfangen und geboren ist, dafür, daß der volle Tag jenes Welttheils von dem ihrigen wiederscheint? — Wie? rief der Fremde, Ihr, die Ihr nach Eurer ganzen Gesichtsbildung eine Mulattin und mithin afrikanischen Ursprungs seid, Ihr wäret sammt der lieblichen jungen Mestize, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0017"/> aus, um ein wenig Brod und Wein bei den Einwohnern des Landes aufzutreiben; Furcht, ergriffen und getödtet zu werden, hielt sie ab, die entscheidenden Schritte deshalb zu thun, dergestalt, daß ich mich selbst heute mit Gefahr meines Lebens habe aufmachen müssen, um mein Glück zu versuchen. Der Himmel, wenn mich nicht Alles trügt, fuhr er fort, indem er die Hand der Alten drückte, hat mich mitleidigen Menschen zugeführt, die jene grausame und unerhörte Erbitterung, welche alle Einwohner dieser Insel ergriffen hat, nicht theilen. Habt die Gefälligkeit, mir für reichlichen Lohn einige Körbe mit Lebensmitteln und Erfrischungen anzufüllen; wir haben nur noch fünf Tagereisen bis Port au Prince, und wenn Ihr uns die Mittel verschafft, diese Stadt zu erreichen so werden wir Euch ewig als die Retter unseres Lebens ansehen. — Ja, diese rasende Erbitterung, heuchelte die Alte. Ist es nicht, als ob die Hände Eines Körpers oder die Zähne Eines Mundes gegen einander wüthen wollten, weil das eine Glied nicht geschaffen ist, wie das andere? Was kann ich, deren Vater aus St. Jago von der Insel Cuba war, für den Schimmer von Licht, der auf meinem Antlitz, wenn es Tag wird, erdämmert? Und was kann meine Tochter, die in Europa empfangen und geboren ist, dafür, daß der volle Tag jenes Welttheils von dem ihrigen wiederscheint? — Wie? rief der Fremde, Ihr, die Ihr nach Eurer ganzen Gesichtsbildung eine Mulattin und mithin afrikanischen Ursprungs seid, Ihr wäret sammt der lieblichen jungen Mestize,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
aus, um ein wenig Brod und Wein bei den Einwohnern des Landes aufzutreiben; Furcht, ergriffen und getödtet zu werden, hielt sie ab, die entscheidenden Schritte deshalb zu thun, dergestalt, daß ich mich selbst heute mit Gefahr meines Lebens habe aufmachen müssen, um mein Glück zu versuchen. Der Himmel, wenn mich nicht Alles trügt, fuhr er fort, indem er die Hand der Alten drückte, hat mich mitleidigen Menschen zugeführt, die jene grausame und unerhörte Erbitterung, welche alle Einwohner dieser Insel ergriffen hat, nicht theilen. Habt die Gefälligkeit, mir für reichlichen Lohn einige Körbe mit Lebensmitteln und Erfrischungen anzufüllen; wir haben nur noch fünf Tagereisen bis Port au Prince, und wenn Ihr uns die Mittel verschafft, diese Stadt zu erreichen so werden wir Euch ewig als die Retter unseres Lebens ansehen. — Ja, diese rasende Erbitterung, heuchelte die Alte. Ist es nicht, als ob die Hände Eines Körpers oder die Zähne Eines Mundes gegen einander wüthen wollten, weil das eine Glied nicht geschaffen ist, wie das andere? Was kann ich, deren Vater aus St. Jago von der Insel Cuba war, für den Schimmer von Licht, der auf meinem Antlitz, wenn es Tag wird, erdämmert? Und was kann meine Tochter, die in Europa empfangen und geboren ist, dafür, daß der volle Tag jenes Welttheils von dem ihrigen wiederscheint? — Wie? rief der Fremde, Ihr, die Ihr nach Eurer ganzen Gesichtsbildung eine Mulattin und mithin afrikanischen Ursprungs seid, Ihr wäret sammt der lieblichen jungen Mestize,
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Zitationshilfe: | Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/17>, abgerufen am 06.07.2024. |