Kleist, Heinrich von: Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe. Berlin, 1810.
den. -- Drei hintereinander folgende Nächte, wäh- rend welcher seine Mutter nicht von seinem Bette wich, erzählte er ihr, ihm sei ein Engel erschienen und habe ihm zugerufen: Vertraue, vertraue, ver- traue! Auf der Gräfin Frage: ob sein Herz sich, durch diesen Zuruf des Himmlischen, nicht gestärkt fühle? antwortete er: Gestärkt? Nein! -- und mit einem Seufzer setzte er hinzu: "doch! doch, Mutter! Wenn ich sie werde gesehen haben!" -- Die Gräfin fragt: und wirst du sie sehen? "Gewiß!" antwortet er. Wann? fragt sie. Wo? -- In der Sylvesternacht, wenn das neue Jahr eintritt; da wird er mich zu ihr führen. Wer? fragt sie, Lieber; zu wem? Der Engel, spricht er, zu meinem Mädchen -- wendet sich und schläft ein. Kunigunde. Geschwätz! Rosalie. Hört sie nur weiter. -- Nun? Brigitte. Drauf in der Sylvesternacht, in dem Augenblick, da eben das Jahr wechselt, hebt er sich halb vom La- ger empor, starrt, als ob er eine Erscheinung hätte, ins Zimmer hinein, und, indem er mit der Hand zeigt: "Mutter! Mutter! Mutter!" spricht er. Was giebt's? fragt sie. "Dort! Dort!" Wo? "Geschwind!" spricht
den. — Drei hintereinander folgende Nächte, wäh- rend welcher ſeine Mutter nicht von ſeinem Bette wich, erzählte er ihr, ihm ſei ein Engel erſchienen und habe ihm zugerufen: Vertraue, vertraue, ver- traue! Auf der Gräfin Frage: ob ſein Herz ſich, durch dieſen Zuruf des Himmliſchen, nicht geſtärkt fühle? antwortete er: Geſtärkt? Nein! — und mit einem Seufzer ſetzte er hinzu: „doch! doch, Mutter! Wenn ich ſie werde geſehen haben!“ — Die Gräfin fragt: und wirſt du ſie ſehen? „Gewiß!“ antwortet er. Wann? fragt ſie. Wo? — In der Sylveſternacht, wenn das neue Jahr eintritt; da wird er mich zu ihr führen. Wer? fragt ſie, Lieber; zu wem? Der Engel, ſpricht er, zu meinem Mädchen — wendet ſich und ſchläft ein. Kunigunde. Geſchwätz! Roſalie. Hört ſie nur weiter. — Nun? Brigitte. Drauf in der Sylveſternacht, in dem Augenblick, da eben das Jahr wechſelt, hebt er ſich halb vom La- ger empor, ſtarrt, als ob er eine Erſcheinung hätte, ins Zimmer hinein, und, indem er mit der Hand zeigt: „Mutter! Mutter! Mutter!“ ſpricht er. Was giebt's? fragt ſie. „Dort! Dort!“ Wo? „Geſchwind!“ ſpricht
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den. — Drei hintereinander folgende Nächte, wäh-
rend welcher ſeine Mutter nicht von ſeinem Bette
wich, erzählte er ihr, ihm ſei ein Engel erſchienen
und habe ihm zugerufen: Vertraue, vertraue, ver-
traue! Auf der Gräfin Frage: ob ſein Herz ſich, durch
dieſen Zuruf des Himmliſchen, nicht geſtärkt fühle?
antwortete er: Geſtärkt? Nein! — und mit einem
Seufzer ſetzte er hinzu: „doch! doch, Mutter! Wenn
ich ſie werde geſehen haben!“ — Die Gräfin fragt:
und wirſt du ſie ſehen? „Gewiß!“ antwortet er.
Wann? fragt ſie. Wo? — In der Sylveſternacht,
wenn das neue Jahr eintritt; da wird er mich zu ihr
führen. Wer? fragt ſie, Lieber; zu wem? Der Engel,
ſpricht er, zu meinem Mädchen — wendet ſich und
ſchläft ein.
Kunigunde.
Geſchwätz!
Roſalie.
Hört ſie nur weiter. — Nun?
Brigitte.
Drauf in der Sylveſternacht, in dem Augenblick,
da eben das Jahr wechſelt, hebt er ſich halb vom La-
ger empor, ſtarrt, als ob er eine Erſcheinung hätte, ins
Zimmer hinein, und, indem er mit der Hand zeigt:
„Mutter! Mutter! Mutter!“ ſpricht er. Was giebt's?
fragt ſie. „Dort! Dort!“ Wo? „Geſchwind!“
ſpricht
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