Kleist, Ewald Christian von: Der Frühling. Berlin, 1749.Der Frühling. Aus sich ihr Leben zu seufzen. Die nahen sträuchichten HügelHier durch zum Mitleid bewogen, erheben ein zärtlich Gewinsel. Allein was kollert und girrt mir hier zur Seiten vom Eichstamm Der halb vermodert und zweiglos von keinem Geflügel bewohnt wird? Teuscht mich der Einbildung Spiel? Sieh! plötzlich flattert ein Täubchen Aus einen Astloch empor mit wandelbaren Gefieder, Dieß zeugte den dumpfichten Schall im Bauch der Eichen. Es gleitet Mit ausgespreiteten Flügeln ins Thal, sucht nickend im Schatten Und schaut sich vorsichtig um mit dürren Reisern im Munde. Wer lehrt die Bürger der Zweige voll Kunst sich Nester zu wölben Und sie für Vorwitz und Raub, voll süssen Kummers, zu sichern? Welch ein verborgener Hauch füllt ihre Herzen mit Liebe? Durch dich ist alles was gut ist, unendlich wunderbar Wesen Beherscher und Vater der Welt! Du bist so herrlich im Vogel Der
Der Frühling. Aus ſich ihr Leben zu ſeufzen. Die nahen ſträuchichten HügelHier durch zum Mitleid bewogen, erheben ein zärtlich Gewinſel. Allein was kollert und girrt mir hier zur Seiten vom Eichſtamm Der halb vermodert und zweiglos von keinem Geflügel bewohnt wird? Teuſcht mich der Einbildung Spiel? Sieh! plötzlich flattert ein Täubchen Aus einen Aſtloch empor mit wandelbaren Gefieder, Dieß zeugte den dumpfichten Schall im Bauch der Eichen. Es gleitet Mit ausgeſpreiteten Flügeln ins Thal, ſucht nickend im Schatten Und ſchaut ſich vorſichtig um mit dürren Reiſern im Munde. Wer lehrt die Bürger der Zweige voll Kunſt ſich Neſter zu wölben Und ſie für Vorwitz und Raub, voll ſüſſen Kummers, zu ſichern? Welch ein verborgener Hauch füllt ihre Herzen mit Liebe? Durch dich iſt alles was gut iſt, unendlich wunderbar Weſen Beherſcher und Vater der Welt! Du biſt ſo herrlich im Vogel Der
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Der Frühling.
Aus ſich ihr Leben zu ſeufzen. Die nahen ſträuchichten Hügel
Hier durch zum Mitleid bewogen, erheben ein zärtlich Gewinſel.
Allein was kollert und girrt mir hier zur Seiten vom Eichſtamm
Der halb vermodert und zweiglos von keinem Geflügel bewohnt
wird?
Teuſcht mich der Einbildung Spiel? Sieh! plötzlich flattert ein
Täubchen
Aus einen Aſtloch empor mit wandelbaren Gefieder,
Dieß zeugte den dumpfichten Schall im Bauch der Eichen. Es gleitet
Mit ausgeſpreiteten Flügeln ins Thal, ſucht nickend im Schatten
Und ſchaut ſich vorſichtig um mit dürren Reiſern im Munde.
Wer lehrt die Bürger der Zweige voll Kunſt ſich Neſter zu wölben
Und ſie für Vorwitz und Raub, voll ſüſſen Kummers, zu ſichern?
Welch ein verborgener Hauch füllt ihre Herzen mit Liebe?
Durch dich iſt alles was gut iſt, unendlich wunderbar Weſen
Beherſcher und Vater der Welt! Du biſt ſo herrlich im Vogel
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Zitationshilfe: | Kleist, Ewald Christian von: Der Frühling. Berlin, 1749, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_fruehling_1749/32>, abgerufen am 16.02.2025. |