Kleist, Ewald Christian von: Der Frühling. Berlin, 1749.Der Frühling. Sich scheinen verenget zu haben, als sie Auroren entwichen)Und macht die schreckbare Wüste zum Luftgefilde des Waldes. Dort tränkt ein finsterer Teich ringsum sich Weidengebüsche Auf AEsten wiegt sie sich da, lockt laut und schmettert und wirbelt Daß Grund und Einöde klingt. So rasen Chöre von Sayten. Jetzt girrt sie sänster, und läuft durch tausend zärtliche Thöne Jetzt schlägt sie wieder mit Macht. Oft wenn ihr Liebling durch Vorwitz Sich in belaubten Gebaur des grausamen Voglers gefangen Der fern im Lindenbusch laurt; Denn ruhn der Lustlieder Fugen Den fliegt sie ängstlich umher, ruft ihrer Wonne des Lebens Durch Klüste, Felsen und Wald, seufzt unaufhörlich und jammert Bis sie für Wehmuth zuletzt halbtodt zum Hecken herabfällt Wor auf sie gleitet und wankt mit niedersinkenden Haupte. Da klaget um sie der Schatten des todten Lieblings, da dünkt ihr Ihn wund und blutig zu sehn. Bald thönt ihr Jammerlied wieder Sie setzt es Nächte lang fort und scheint bey jeglichen Seufzer Aus D 3
Der Frühling. Sich ſcheinen verenget zu haben, als ſie Auroren entwichen)Und macht die ſchreckbare Wüſte zum Luftgefilde des Waldes. Dort tränkt ein finſterer Teich ringsum ſich Weidengebüſche Auf Æſten wiegt ſie ſich da, lockt laut und ſchmettert und wirbelt Daß Grund und Einöde klingt. So raſen Chöre von Sayten. Jetzt girrt ſie ſänſter, und läuft durch tauſend zärtliche Thöne Jetzt ſchlägt ſie wieder mit Macht. Oft wenn ihr Liebling durch Vorwitz Sich in belaubten Gebaur des grauſamen Voglers gefangen Der fern im Lindenbuſch laurt; Denn ruhn der Luſtlieder Fugen Den fliegt ſie ängſtlich umher, ruft ihrer Wonne des Lebens Durch Klüſte, Felſen und Wald, ſeufzt unaufhörlich und jammert Bis ſie für Wehmuth zuletzt halbtodt zum Hecken herabfällt Wor auf ſie gleitet und wankt mit niederſinkenden Haupte. Da klaget um ſie der Schatten des todten Lieblings, da dünkt ihr Ihn wund und blutig zu ſehn. Bald thönt ihr Jammerlied wieder Sie ſetzt es Nächte lang fort und ſcheint bey jeglichen Seufzer Aus D 3
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Der Frühling.
Sich ſcheinen verenget zu haben, als ſie Auroren entwichen)
Und macht die ſchreckbare Wüſte zum Luftgefilde des Waldes.
Dort tränkt ein finſterer Teich ringsum ſich Weidengebüſche
Auf Æſten wiegt ſie ſich da, lockt laut und ſchmettert und wirbelt
Daß Grund und Einöde klingt. So raſen Chöre von Sayten.
Jetzt girrt ſie ſänſter, und läuft durch tauſend zärtliche Thöne
Jetzt ſchlägt ſie wieder mit Macht. Oft wenn ihr Liebling durch
Vorwitz
Sich in belaubten Gebaur des grauſamen Voglers gefangen
Der fern im Lindenbuſch laurt; Denn ruhn der Luſtlieder Fugen
Den fliegt ſie ängſtlich umher, ruft ihrer Wonne des Lebens
Durch Klüſte, Felſen und Wald, ſeufzt unaufhörlich und jammert
Bis ſie für Wehmuth zuletzt halbtodt zum Hecken herabfällt
Wor auf ſie gleitet und wankt mit niederſinkenden Haupte.
Da klaget um ſie der Schatten des todten Lieblings, da dünkt ihr
Ihn wund und blutig zu ſehn. Bald thönt ihr Jammerlied wieder
Sie ſetzt es Nächte lang fort und ſcheint bey jeglichen Seufzer
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Zitationshilfe: | Kleist, Ewald Christian von: Der Frühling. Berlin, 1749, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_fruehling_1749/31>, abgerufen am 16.02.2025. |