Kleist, Heinrich von: Die Schlacht bei Fehrbellin. Berlin, 1822.
Er, unterm Schutz der Dämm'rung, kam geschlichen: Verstört und schüchtern, heimlich, ganz unwürdig, Ein unerfreulich, jammernswürd'ger Anblick. Zu solchem Elend, glaubt' ich, sänke keiner, Den die Geschicht als ihren Helden preis't. Schau her, ein Weib bin ich, und schaudere Dem Wurm zurück, der meiner Ferse naht: Doch so zermalmt, so fassungslos, so ganz Unheldenmüthig träfe mich der Tod, In eines scheußlichen Leun Gestalt nicht an! -- Ach, was ist Menschengröße, Menschenruhm! Der Kurfürst (verwirrt.) Nun denn, beim Gott des Himmels und der Erde, So fasse Muth, mein Kind; so ist er frei! Natalie. Wie, mein erlauchter Herr? Der Kurfürst. Er ist begnadigt! -- Ich will sogleich das Nöth'g' an ihn erlassen. Natalie. O Liebster! Ist es wirklich wahr? Der Kurfürst. Du hörst! Natalie. Ihm soll vergeben seyn? Er stirbt jetzt nicht? Der Kurfürst. Bei meinem Eid! Ich schwör's Dir zu! Wo werd' ich Mich gegen solchen Kriegers Meinung setzen? Die höchste Achtung, wie Dir wohl bekannt, Trag' ich im Innersten für sein Gefühl: Wenn er den Spruch für ungerecht kann halten, Cassir' ich die Artikel: er ist frei! -- (er bringt ihr einen Stuhl.) Willst Du, auf einen Augenblick, Dich setzen? (er geht an den Tisch, setzt sich und schreibt. -- Pause.)
Er, unterm Schutz der Dämm’rung, kam geſchlichen: Verſtört und ſchüchtern, heimlich, ganz unwürdig, Ein unerfreulich, jammernswürd’ger Anblick. Zu ſolchem Elend, glaubt’ ich, ſänke keiner, Den die Geſchicht als ihren Helden preiſ’t. Schau her, ein Weib bin ich, und ſchaudere Dem Wurm zurück, der meiner Ferſe naht: Doch ſo zermalmt, ſo faſſungslos, ſo ganz Unheldenmüthig träfe mich der Tod, In eines ſcheußlichen Leun Geſtalt nicht an! — Ach, was iſt Menſchengröße, Menſchenruhm! Der Kurfürſt (verwirrt.) Nun denn, beim Gott des Himmels und der Erde, So faſſe Muth, mein Kind; ſo iſt er frei! Natalie. Wie, mein erlauchter Herr? Der Kurfürſt. Er iſt begnadigt! — Ich will ſogleich das Nöth’g’ an ihn erlaſſen. Natalie. O Liebſter! Iſt es wirklich wahr? Der Kurfürſt. Du hörſt! Natalie. Ihm ſoll vergeben ſeyn? Er ſtirbt jetzt nicht? Der Kurfürſt. Bei meinem Eid! Ich ſchwör’s Dir zu! Wo werd’ ich Mich gegen ſolchen Kriegers Meinung ſetzen? Die höchſte Achtung, wie Dir wohl bekannt, Trag’ ich im Innerſten für ſein Gefühl: Wenn er den Spruch für ungerecht kann halten, Caſſir’ ich die Artikel: er iſt frei! — (er bringt ihr einen Stuhl.) Willſt Du, auf einen Augenblick, Dich ſetzen? (er geht an den Tiſch, ſetzt ſich und ſchreibt. — Pauſe.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#NAT"> <p><pb facs="#f0082" n="69"/> Er, unterm Schutz der Dämm’rung, kam geſchlichen:<lb/> Verſtört und ſchüchtern, heimlich, ganz unwürdig,<lb/> Ein unerfreulich, jammernswürd’ger Anblick.<lb/> Zu ſolchem Elend, glaubt’ ich, ſänke keiner,<lb/> Den die Geſchicht als ihren Helden preiſ’t.<lb/> Schau her, ein Weib bin ich, und ſchaudere<lb/> Dem Wurm zurück, der meiner Ferſe naht:<lb/> Doch ſo zermalmt, ſo faſſungslos, ſo ganz<lb/> Unheldenmüthig träfe mich der Tod,<lb/> In eines ſcheußlichen Leun Geſtalt nicht an!<lb/> — Ach, was iſt Menſchengröße, Menſchenruhm!</p> </sp><lb/> <sp who="#KURF"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Der Kurfürſt</hi> </hi> </speaker> <stage> <hi rendition="#c">(verwirrt.)</hi> </stage><lb/> <p>Nun denn, beim Gott des Himmels und der Erde,<lb/> So faſſe Muth, mein Kind; ſo iſt er frei!</p> </sp><lb/> <sp who="#NAT"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Natalie</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Wie, mein erlauchter Herr?</p> </sp><lb/> <sp who="#KURF"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Der Kurfürſt</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Er iſt begnadigt! —<lb/> Ich will ſogleich das Nöth’g’ an ihn erlaſſen.</p> </sp><lb/> <sp who="#NAT"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Natalie</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>O Liebſter! Iſt es wirklich wahr?</p> </sp><lb/> <sp who="#KURF"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Der Kurfürſt</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Du hörſt!</p> </sp><lb/> <sp who="#NAT"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Natalie</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Ihm ſoll vergeben ſeyn? Er ſtirbt jetzt nicht?</p> </sp><lb/> <sp who="#KURF"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Der Kurfürſt</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Bei meinem Eid! Ich ſchwör’s Dir zu! Wo werd’ ich<lb/> Mich gegen ſolchen Kriegers Meinung ſetzen?<lb/> Die höchſte Achtung, wie Dir wohl bekannt,<lb/> Trag’ ich im Innerſten für ſein Gefühl:<lb/> Wenn er den Spruch für ungerecht kann halten,<lb/> Caſſir’ ich die Artikel: er iſt frei! — (er bringt ihr einen Stuhl.)<lb/> Willſt Du, auf einen Augenblick, Dich ſetzen?</p><lb/> <stage>(er geht an den Tiſch, ſetzt ſich und ſchreibt. — Pauſe.)</stage> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0082]
Er, unterm Schutz der Dämm’rung, kam geſchlichen:
Verſtört und ſchüchtern, heimlich, ganz unwürdig,
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Zu ſolchem Elend, glaubt’ ich, ſänke keiner,
Den die Geſchicht als ihren Helden preiſ’t.
Schau her, ein Weib bin ich, und ſchaudere
Dem Wurm zurück, der meiner Ferſe naht:
Doch ſo zermalmt, ſo faſſungslos, ſo ganz
Unheldenmüthig träfe mich der Tod,
In eines ſcheußlichen Leun Geſtalt nicht an!
— Ach, was iſt Menſchengröße, Menſchenruhm!
Der Kurfürſt (verwirrt.)
Nun denn, beim Gott des Himmels und der Erde,
So faſſe Muth, mein Kind; ſo iſt er frei!
Natalie.
Wie, mein erlauchter Herr?
Der Kurfürſt.
Er iſt begnadigt! —
Ich will ſogleich das Nöth’g’ an ihn erlaſſen.
Natalie.
O Liebſter! Iſt es wirklich wahr?
Der Kurfürſt.
Du hörſt!
Natalie.
Ihm ſoll vergeben ſeyn? Er ſtirbt jetzt nicht?
Der Kurfürſt.
Bei meinem Eid! Ich ſchwör’s Dir zu! Wo werd’ ich
Mich gegen ſolchen Kriegers Meinung ſetzen?
Die höchſte Achtung, wie Dir wohl bekannt,
Trag’ ich im Innerſten für ſein Gefühl:
Wenn er den Spruch für ungerecht kann halten,
Caſſir’ ich die Artikel: er iſt frei! — (er bringt ihr einen Stuhl.)
Willſt Du, auf einen Augenblick, Dich ſetzen?
(er geht an den Tiſch, ſetzt ſich und ſchreibt. — Pauſe.)
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Zitationshilfe: | Kleist, Heinrich von: Die Schlacht bei Fehrbellin. Berlin, 1822, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_fehrbellin_1822/82>, abgerufen am 04.07.2024. |