Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

pkl_065.001
3) die Schlußzeile des vierzehnten Sonetts wird gebildet pkl_065.002
durch die Anfangszeile des ersten; 4) die Anfangszeilen pkl_065.003
der vierzehn ersten Sonette bilden das fünfzehnte, pkl_065.004
das sogenannte Meistersonett; 5) das Ganze muß einen pkl_065.005
geistigen Zusammenhang haben, also von einem pkl_065.006
Hauptgedanken durchzogen sein.

pkl_065.007

§. 100. Die Canzone. Diese dem Provencalischen pkl_065.008
entstammende, meist für elegische Gegenstände pkl_065.009
gebrauchte Form ist im Deutschen selten (von Zedlitz pkl_065.010
in den "Todtenkränzen"), meist nur bei Uebersetzungen pkl_065.011
italienischer Poesien, angewendet worden. pkl_065.012
Versmaaß der Canzone ist der elfsilbige Jambus, mit pkl_065.013
dem der siebensilbige zuweilen abwechselt. Die Strophen pkl_065.014
sind in Rücksicht der Zeilenzahl keinem Zwange unterworfen, pkl_065.015
(gewöhnlich finden sich dreizehn, sechszehn oder pkl_065.016
elf Verse,) doch müssen sie gleichmäßig gebildet sein. pkl_065.017
Jede regelmäßige Strophe zerfällt in drei Abtheilungen. pkl_065.018
Die beiden ersten Abtheilungen, Füße genannt, enthalten pkl_065.019
eine vom Dichter abhängige Reimverschlingung pkl_065.020
-- doch muß dieselbe durch das ganze Gedicht streng pkl_065.021
durchgeführt sein! -- und bilden am Ende eine logische pkl_065.022
Pause. Die dritte Abtheilung, die coda oder der pkl_065.023
Schweif, schließt sich mit ungetrenntem Reim an die pkl_065.024
zweite an. Den Schluß des ganzen Gedichts bildet pkl_065.025
eine kürzere Strophe, die in Rücksicht der Verszahl pkl_065.026
gewöhnlich mit der dritten Abtheilung der vorhergehenden pkl_065.027
Strophe übereinstimmt. Jn dieser Schlußstrophe pkl_065.028
redet der Dichter in der Regel die Canzone selbst an, pkl_065.029
nimmt Abschied u. s. w.

pkl_065.030

§. 101. Die Sestine. Die Sestine ist unstreitig pkl_065.031
die künstlichste der, dem Süden entlehnten Strophen-

pkl_065.001
3) die Schlußzeile des vierzehnten Sonetts wird gebildet pkl_065.002
durch die Anfangszeile des ersten; 4) die Anfangszeilen pkl_065.003
der vierzehn ersten Sonette bilden das fünfzehnte, pkl_065.004
das sogenannte Meistersonett; 5) das Ganze muß einen pkl_065.005
geistigen Zusammenhang haben, also von einem pkl_065.006
Hauptgedanken durchzogen sein.

pkl_065.007

§. 100. Die Canzone. Diese dem Provençalischen pkl_065.008
entstammende, meist für elegische Gegenstände pkl_065.009
gebrauchte Form ist im Deutschen selten (von Zedlitz pkl_065.010
in den „Todtenkränzen“), meist nur bei Uebersetzungen pkl_065.011
italienischer Poesien, angewendet worden. pkl_065.012
Versmaaß der Canzone ist der elfsilbige Jambus, mit pkl_065.013
dem der siebensilbige zuweilen abwechselt. Die Strophen pkl_065.014
sind in Rücksicht der Zeilenzahl keinem Zwange unterworfen, pkl_065.015
(gewöhnlich finden sich dreizehn, sechszehn oder pkl_065.016
elf Verse,) doch müssen sie gleichmäßig gebildet sein. pkl_065.017
Jede regelmäßige Strophe zerfällt in drei Abtheilungen. pkl_065.018
Die beiden ersten Abtheilungen, Füße genannt, enthalten pkl_065.019
eine vom Dichter abhängige Reimverschlingung pkl_065.020
— doch muß dieselbe durch das ganze Gedicht streng pkl_065.021
durchgeführt sein! — und bilden am Ende eine logische pkl_065.022
Pause. Die dritte Abtheilung, die coda oder der pkl_065.023
Schweif, schließt sich mit ungetrenntem Reim an die pkl_065.024
zweite an. Den Schluß des ganzen Gedichts bildet pkl_065.025
eine kürzere Strophe, die in Rücksicht der Verszahl pkl_065.026
gewöhnlich mit der dritten Abtheilung der vorhergehenden pkl_065.027
Strophe übereinstimmt. Jn dieser Schlußstrophe pkl_065.028
redet der Dichter in der Regel die Canzone selbst an, pkl_065.029
nimmt Abschied u. s. w.

pkl_065.030

§. 101. Die Sestine. Die Sestine ist unstreitig pkl_065.031
die künstlichste der, dem Süden entlehnten Strophen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0091" n="65"/><lb n="pkl_065.001"/>
3) die Schlußzeile des vierzehnten Sonetts wird gebildet <lb n="pkl_065.002"/>
durch die Anfangszeile des ersten; 4) die Anfangszeilen <lb n="pkl_065.003"/>
der vierzehn ersten Sonette bilden das fünfzehnte, <lb n="pkl_065.004"/>
das sogenannte Meistersonett; 5) das Ganze muß einen <lb n="pkl_065.005"/>
geistigen Zusammenhang haben, also von einem <lb n="pkl_065.006"/>
Hauptgedanken durchzogen sein.</p>
              <lb n="pkl_065.007"/>
              <p>  §. 100. <hi rendition="#g">Die Canzone.</hi> Diese dem Proven<hi rendition="#aq">ç</hi>alischen <lb n="pkl_065.008"/>
entstammende, meist für elegische Gegenstände <lb n="pkl_065.009"/>
gebrauchte Form ist im Deutschen selten (von <hi rendition="#g">Zedlitz</hi> <lb n="pkl_065.010"/>
in den &#x201E;Todtenkränzen&#x201C;), meist nur bei Uebersetzungen <lb n="pkl_065.011"/>
italienischer Poesien, angewendet worden. <lb n="pkl_065.012"/>
Versmaaß der Canzone ist der elfsilbige Jambus, mit <lb n="pkl_065.013"/>
dem der siebensilbige zuweilen abwechselt. Die Strophen <lb n="pkl_065.014"/>
sind in Rücksicht der Zeilenzahl keinem Zwange unterworfen, <lb n="pkl_065.015"/>
(gewöhnlich finden sich dreizehn, sechszehn oder <lb n="pkl_065.016"/>
elf Verse,) doch müssen sie gleichmäßig gebildet sein. <lb n="pkl_065.017"/>
Jede regelmäßige Strophe zerfällt in drei Abtheilungen. <lb n="pkl_065.018"/>
Die beiden ersten Abtheilungen, <hi rendition="#g">Füße</hi> genannt, enthalten <lb n="pkl_065.019"/>
eine vom Dichter abhängige Reimverschlingung <lb n="pkl_065.020"/>
&#x2014; doch muß dieselbe durch das ganze Gedicht streng <lb n="pkl_065.021"/>
durchgeführt sein! &#x2014; und bilden am Ende eine logische <lb n="pkl_065.022"/>
Pause. Die dritte Abtheilung, die <hi rendition="#aq">coda</hi> oder der <lb n="pkl_065.023"/> <hi rendition="#g">Schweif,</hi> schließt sich mit ungetrenntem Reim an die <lb n="pkl_065.024"/>
zweite an. Den Schluß des ganzen Gedichts bildet <lb n="pkl_065.025"/>
eine kürzere Strophe, die in Rücksicht der Verszahl <lb n="pkl_065.026"/>
gewöhnlich mit der dritten Abtheilung der vorhergehenden <lb n="pkl_065.027"/>
Strophe übereinstimmt. Jn dieser Schlußstrophe <lb n="pkl_065.028"/>
redet der Dichter in der Regel die Canzone selbst an, <lb n="pkl_065.029"/>
nimmt Abschied u. s. w.</p>
              <lb n="pkl_065.030"/>
              <p>  §. 101. <hi rendition="#g">Die Sestine.</hi> Die Sestine ist unstreitig <lb n="pkl_065.031"/>
die künstlichste der, dem Süden entlehnten Strophen-
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0091] pkl_065.001 3) die Schlußzeile des vierzehnten Sonetts wird gebildet pkl_065.002 durch die Anfangszeile des ersten; 4) die Anfangszeilen pkl_065.003 der vierzehn ersten Sonette bilden das fünfzehnte, pkl_065.004 das sogenannte Meistersonett; 5) das Ganze muß einen pkl_065.005 geistigen Zusammenhang haben, also von einem pkl_065.006 Hauptgedanken durchzogen sein. pkl_065.007 §. 100. Die Canzone. Diese dem Provençalischen pkl_065.008 entstammende, meist für elegische Gegenstände pkl_065.009 gebrauchte Form ist im Deutschen selten (von Zedlitz pkl_065.010 in den „Todtenkränzen“), meist nur bei Uebersetzungen pkl_065.011 italienischer Poesien, angewendet worden. pkl_065.012 Versmaaß der Canzone ist der elfsilbige Jambus, mit pkl_065.013 dem der siebensilbige zuweilen abwechselt. Die Strophen pkl_065.014 sind in Rücksicht der Zeilenzahl keinem Zwange unterworfen, pkl_065.015 (gewöhnlich finden sich dreizehn, sechszehn oder pkl_065.016 elf Verse,) doch müssen sie gleichmäßig gebildet sein. pkl_065.017 Jede regelmäßige Strophe zerfällt in drei Abtheilungen. pkl_065.018 Die beiden ersten Abtheilungen, Füße genannt, enthalten pkl_065.019 eine vom Dichter abhängige Reimverschlingung pkl_065.020 — doch muß dieselbe durch das ganze Gedicht streng pkl_065.021 durchgeführt sein! — und bilden am Ende eine logische pkl_065.022 Pause. Die dritte Abtheilung, die coda oder der pkl_065.023 Schweif, schließt sich mit ungetrenntem Reim an die pkl_065.024 zweite an. Den Schluß des ganzen Gedichts bildet pkl_065.025 eine kürzere Strophe, die in Rücksicht der Verszahl pkl_065.026 gewöhnlich mit der dritten Abtheilung der vorhergehenden pkl_065.027 Strophe übereinstimmt. Jn dieser Schlußstrophe pkl_065.028 redet der Dichter in der Regel die Canzone selbst an, pkl_065.029 nimmt Abschied u. s. w. pkl_065.030 §. 101. Die Sestine. Die Sestine ist unstreitig pkl_065.031 die künstlichste der, dem Süden entlehnten Strophen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/91
Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/91>, abgerufen am 23.11.2024.