Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

pkl_042.001
können sie in geeigneten Fällen sehr wirksam sein; pkl_042.002
doch findet man sie höchst selten und für einfache pkl_042.003
deutsche Silbenmaaße sind sie zu schwerfällig und fremdartig. pkl_042.004
-- Der sogenannte identische Reim wird pkl_042.005
durch die Wiederholuug desselben Worts (oder derselben pkl_042.006
Reimsilbe) gebildet, ist aber eben deshalb kein pkl_042.007
eigentlicher Reim und darf nicht die Stelle eines pkl_042.008
solchen in Gedichten, die wirklich gereimt sein sollen, pkl_042.009
vertreten. Jn einzelnen Fällen aber und zu besondern pkl_042.010
Zwecken, namentlich um die betreffenden Worte möglichst pkl_042.011
hervorzuheben, kann auch er seine Anwendung pkl_042.012
finden, z. B.

pkl_042.013

Ach es entschwindet mit traurigem Flügel pkl_042.014
Mir auf den wiegenden Wellen die Zeit! pkl_042.015
Morgen entschwinde mit schimmerndem Flügel pkl_042.016
Wieder wie gestern und heute die Zeit, pkl_042.017
Bis ich auf höherem, strahlendem Flügel, pkl_042.018
Selber entschwinde der wechselnden Zeit.
pkl_042.019
F. Stollberg.

pkl_042.020

Der reiche Reim entsteht, wenn dem identischen pkl_042.021
Reim (also den gleichen Wörtern) ein wirklicher pkl_042.022
Reim entweder unmittelbar folgt, oder, was häufiger pkl_042.023
ist, unmittelbar vorangeht.

pkl_042.024

Beispiel:

pkl_042.025

Hab' ich doch Verlust in Allem, was ich je gewann, ertragen; pkl_042.026
Aber glaubet mir, das Leben läßt sich dann und wann ertragen! pkl_042.027
Zwar des Leidens ganze Bürde riß mich oft schon halb zu Boden, pkl_042.028
Doch ich hab' es immer wieder, wenn ich mich besann, ertragen: pkl_042.029
Mir geziemt der volle Becher, mir der volle Klang der Lauten, pkl_042.030
Denn den vollen Schmerz des Lebens hab' ich als ein Mann pkl_042.031
   ertragen! u. s. w.
pkl_042.032
Platen.

pkl_042.033

§. 62. Als besondere Reimformen sind außer

pkl_042.001
können sie in geeigneten Fällen sehr wirksam sein; pkl_042.002
doch findet man sie höchst selten und für einfache pkl_042.003
deutsche Silbenmaaße sind sie zu schwerfällig und fremdartig. pkl_042.004
— Der sogenannte identische Reim wird pkl_042.005
durch die Wiederholuug desselben Worts (oder derselben pkl_042.006
Reimsilbe) gebildet, ist aber eben deshalb kein pkl_042.007
eigentlicher Reim und darf nicht die Stelle eines pkl_042.008
solchen in Gedichten, die wirklich gereimt sein sollen, pkl_042.009
vertreten. Jn einzelnen Fällen aber und zu besondern pkl_042.010
Zwecken, namentlich um die betreffenden Worte möglichst pkl_042.011
hervorzuheben, kann auch er seine Anwendung pkl_042.012
finden, z. B.

pkl_042.013

Ach es entschwindet mit traurigem Flügel pkl_042.014
Mir auf den wiegenden Wellen die Zeit! pkl_042.015
Morgen entschwinde mit schimmerndem Flügel pkl_042.016
Wieder wie gestern und heute die Zeit, pkl_042.017
Bis ich auf höherem, strahlendem Flügel, pkl_042.018
Selber entschwinde der wechselnden Zeit.
pkl_042.019
F. Stollberg.

pkl_042.020

Der reiche Reim entsteht, wenn dem identischen pkl_042.021
Reim (also den gleichen Wörtern) ein wirklicher pkl_042.022
Reim entweder unmittelbar folgt, oder, was häufiger pkl_042.023
ist, unmittelbar vorangeht.

pkl_042.024

Beispiel:

pkl_042.025

Hab' ich doch Verlust in Allem, was ich je gewann, ertragen; pkl_042.026
Aber glaubet mir, das Leben läßt sich dann und wann ertragen! pkl_042.027
Zwar des Leidens ganze Bürde riß mich oft schon halb zu Boden, pkl_042.028
Doch ich hab' es immer wieder, wenn ich mich besann, ertragen: pkl_042.029
Mir geziemt der volle Becher, mir der volle Klang der Lauten, pkl_042.030
Denn den vollen Schmerz des Lebens hab' ich als ein Mann pkl_042.031
   ertragen! u. s. w.
pkl_042.032
Platen.

pkl_042.033

§. 62. Als besondere Reimformen sind außer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0068" n="42"/><lb n="pkl_042.001"/>
können sie in geeigneten Fällen sehr wirksam sein; <lb n="pkl_042.002"/>
doch findet man sie höchst selten und für einfache <lb n="pkl_042.003"/>
deutsche Silbenmaaße sind sie zu schwerfällig und fremdartig. <lb n="pkl_042.004"/>
&#x2014; Der sogenannte <hi rendition="#g">identische</hi> Reim wird <lb n="pkl_042.005"/>
durch die Wiederholuug desselben Worts (oder derselben <lb n="pkl_042.006"/>
Reimsilbe) gebildet, ist aber eben deshalb kein <lb n="pkl_042.007"/>
eigentlicher Reim und darf nicht die Stelle eines <lb n="pkl_042.008"/>
solchen in Gedichten, die wirklich gereimt sein sollen, <lb n="pkl_042.009"/>
vertreten. Jn einzelnen Fällen aber und zu besondern <lb n="pkl_042.010"/>
Zwecken, namentlich um die betreffenden Worte möglichst <lb n="pkl_042.011"/>
hervorzuheben, kann auch er seine Anwendung <lb n="pkl_042.012"/>
finden, z. B.</p>
            <lb n="pkl_042.013"/>
            <p>
              <lg>
                <l>Ach es entschwindet mit traurigem <hi rendition="#g">Flügel</hi></l>
                <lb n="pkl_042.014"/>
                <l>Mir auf den wiegenden Wellen die <hi rendition="#g">Zeit!</hi></l>
                <lb n="pkl_042.015"/>
                <l>Morgen entschwinde mit schimmerndem <hi rendition="#g">Flügel</hi></l>
                <lb n="pkl_042.016"/>
                <l>Wieder wie gestern und heute die <hi rendition="#g">Zeit,</hi></l>
                <lb n="pkl_042.017"/>
                <l>Bis ich auf höherem, strahlendem <hi rendition="#g">Flügel,</hi></l>
                <lb n="pkl_042.018"/>
                <l>Selber entschwinde der wechselnden <hi rendition="#g">Zeit</hi>.</l>
              </lg>
              <lb n="pkl_042.019"/> <hi rendition="#right">F. <hi rendition="#g">Stollberg</hi>.</hi> </p>
            <lb n="pkl_042.020"/>
            <p>Der <hi rendition="#g">reiche</hi> Reim entsteht, wenn dem <hi rendition="#g">identischen</hi> <lb n="pkl_042.021"/>
Reim (also den gleichen Wörtern) ein <hi rendition="#g">wirklicher</hi> <lb n="pkl_042.022"/>
Reim entweder unmittelbar folgt, oder, was häufiger <lb n="pkl_042.023"/>
ist, unmittelbar vorangeht.</p>
            <lb n="pkl_042.024"/>
            <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Beispiel</hi>:</hi> </p>
            <lb n="pkl_042.025"/>
            <p>
              <lg>
                <l>Hab' ich doch Verlust in Allem, was ich je <hi rendition="#g">gewann,</hi> ertragen;</l>
                <lb n="pkl_042.026"/>
                <l>Aber glaubet mir, das Leben läßt sich dann und <hi rendition="#g">wann</hi> ertragen!</l>
                <lb n="pkl_042.027"/>
                <l>Zwar des Leidens ganze Bürde riß mich oft schon halb zu Boden,</l>
                <lb n="pkl_042.028"/>
                <l>Doch ich hab' es immer wieder, wenn ich mich be<hi rendition="#g">sann,</hi> ertragen:</l>
                <lb n="pkl_042.029"/>
                <l>Mir geziemt der volle Becher, mir der volle Klang der Lauten,</l>
                <lb n="pkl_042.030"/>
                <l>Denn den vollen Schmerz des Lebens hab' ich als ein <hi rendition="#g">Mann</hi> <lb n="pkl_042.031"/>
<space dim="horizontal"/>ertragen! u. s. w.</l>
              </lg>
              <lb n="pkl_042.032"/> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Platen</hi>.</hi> </p>
            <lb n="pkl_042.033"/>
            <p>  §. 62. Als besondere <hi rendition="#g">Reimformen</hi> sind außer
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0068] pkl_042.001 können sie in geeigneten Fällen sehr wirksam sein; pkl_042.002 doch findet man sie höchst selten und für einfache pkl_042.003 deutsche Silbenmaaße sind sie zu schwerfällig und fremdartig. pkl_042.004 — Der sogenannte identische Reim wird pkl_042.005 durch die Wiederholuug desselben Worts (oder derselben pkl_042.006 Reimsilbe) gebildet, ist aber eben deshalb kein pkl_042.007 eigentlicher Reim und darf nicht die Stelle eines pkl_042.008 solchen in Gedichten, die wirklich gereimt sein sollen, pkl_042.009 vertreten. Jn einzelnen Fällen aber und zu besondern pkl_042.010 Zwecken, namentlich um die betreffenden Worte möglichst pkl_042.011 hervorzuheben, kann auch er seine Anwendung pkl_042.012 finden, z. B. pkl_042.013 Ach es entschwindet mit traurigem Flügel pkl_042.014 Mir auf den wiegenden Wellen die Zeit! pkl_042.015 Morgen entschwinde mit schimmerndem Flügel pkl_042.016 Wieder wie gestern und heute die Zeit, pkl_042.017 Bis ich auf höherem, strahlendem Flügel, pkl_042.018 Selber entschwinde der wechselnden Zeit. pkl_042.019 F. Stollberg. pkl_042.020 Der reiche Reim entsteht, wenn dem identischen pkl_042.021 Reim (also den gleichen Wörtern) ein wirklicher pkl_042.022 Reim entweder unmittelbar folgt, oder, was häufiger pkl_042.023 ist, unmittelbar vorangeht. pkl_042.024 Beispiel: pkl_042.025 Hab' ich doch Verlust in Allem, was ich je gewann, ertragen; pkl_042.026 Aber glaubet mir, das Leben läßt sich dann und wann ertragen! pkl_042.027 Zwar des Leidens ganze Bürde riß mich oft schon halb zu Boden, pkl_042.028 Doch ich hab' es immer wieder, wenn ich mich besann, ertragen: pkl_042.029 Mir geziemt der volle Becher, mir der volle Klang der Lauten, pkl_042.030 Denn den vollen Schmerz des Lebens hab' ich als ein Mann pkl_042.031 ertragen! u. s. w. pkl_042.032 Platen. pkl_042.033 §. 62. Als besondere Reimformen sind außer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/68
Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/68>, abgerufen am 28.11.2024.