Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.pkl_171.001 §. 232. Bei der Behandlung des tragischen pkl_171.012 pkl_171.001 §. 232. Bei der Behandlung des tragischen pkl_171.012 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0197" n="171"/><lb n="pkl_171.001"/> Kraft vorgeführt wird. Jn dieser <hi rendition="#g">wesentlichsten</hi> <lb n="pkl_171.002"/> Eigenthümlichkeit unserer Tragödie sind denn auch die <lb n="pkl_171.003"/> andern charakteristischen Merkmale derselben begründet. <lb n="pkl_171.004"/> „Unsere Tragödie stellt mehr <hi rendition="#g">handelnde</hi> und <hi rendition="#g">strebende,</hi> <lb n="pkl_171.005"/> die alte mehr <hi rendition="#g">duldende</hi> Menschen dar. Ferner: <lb n="pkl_171.006"/> die Menschen der antiken Tragödie erscheinen uns <lb n="pkl_171.007"/> groß und bewundernswürdig in den <hi rendition="#g">Lagen,</hi> in welche <lb n="pkl_171.008"/> sie durch eine <hi rendition="#g">fremde</hi> Macht geführt werden; die der <lb n="pkl_171.009"/> neuern in den <hi rendition="#g">Verhältnissen,</hi> in die sie <hi rendition="#g">freiwillig <lb n="pkl_171.010"/> selbst</hi> treten oder die sie <hi rendition="#g">sich zugezogen</hi> haben.“</p> <lb n="pkl_171.011"/> <p> §. 232. Bei der <hi rendition="#g">Behandlung</hi> des tragischen <lb n="pkl_171.012"/> Stoffs muß es der Dichter natürlich darauf absehen, <lb n="pkl_171.013"/> das <hi rendition="#g">Jnteresse</hi> des Zuschauers zu fesseln und zu <lb n="pkl_171.014"/> spannen. Die tragische Handlung muß die Gefühle <lb n="pkl_171.015"/> des Mitleids, der Besorgniß und Theilnahme, die (sogenannte <lb n="pkl_171.016"/> tragische) Furcht hervorrufen, der Held selbst <lb n="pkl_171.017"/> muß immer bewundernswürdig erscheinen, sei es auch <lb n="pkl_171.018"/> nur durch die riesige Kraft, die er offenbart. Die im <lb n="pkl_171.019"/> Gemüthe des Zuschauers geweckten Empfindungen dürfen <lb n="pkl_171.020"/> jedoch nicht überspannt werden; das Gemüth darf <lb n="pkl_171.021"/> weder durch ein unerträgliches Grausen gemartert, noch <lb n="pkl_171.022"/> durch eine gränzenlose Angst gepeinigt, es soll <hi rendition="#g">erhoben</hi> <lb n="pkl_171.023"/> werden. Zu diesem Zwecke ist zwar immer ein <hi rendition="#g">ernster <lb n="pkl_171.024"/> Ausgang</hi> der Handlung nöthig (denn sonst würden <lb n="pkl_171.025"/> die geweckten Gefühle auf vage Weise wieder zerstört <lb n="pkl_171.026"/> werden), aber ein <hi rendition="#g">eigentlich trauriges Ende</hi> (der <lb n="pkl_171.027"/> Tod des Helden) ist, wenn auch gewöhnlich, doch keineswegs <lb n="pkl_171.028"/> durchaus erforderlich, weshalb auch der Name <lb n="pkl_171.029"/> <hi rendition="#g">Trauerspiel</hi> nicht in allen Fällen dem entspricht, <lb n="pkl_171.030"/> was wir Tragödie nennen. Die Hauptsache ist, daß <lb n="pkl_171.031"/> der <hi rendition="#g">Totaleindruck</hi> ein wirklich <hi rendition="#g">tragischer</hi> sei: das </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [171/0197]
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Kraft vorgeführt wird. Jn dieser wesentlichsten pkl_171.002
Eigenthümlichkeit unserer Tragödie sind denn auch die pkl_171.003
andern charakteristischen Merkmale derselben begründet. pkl_171.004
„Unsere Tragödie stellt mehr handelnde und strebende, pkl_171.005
die alte mehr duldende Menschen dar. Ferner: pkl_171.006
die Menschen der antiken Tragödie erscheinen uns pkl_171.007
groß und bewundernswürdig in den Lagen, in welche pkl_171.008
sie durch eine fremde Macht geführt werden; die der pkl_171.009
neuern in den Verhältnissen, in die sie freiwillig pkl_171.010
selbst treten oder die sie sich zugezogen haben.“
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§. 232. Bei der Behandlung des tragischen pkl_171.012
Stoffs muß es der Dichter natürlich darauf absehen, pkl_171.013
das Jnteresse des Zuschauers zu fesseln und zu pkl_171.014
spannen. Die tragische Handlung muß die Gefühle pkl_171.015
des Mitleids, der Besorgniß und Theilnahme, die (sogenannte pkl_171.016
tragische) Furcht hervorrufen, der Held selbst pkl_171.017
muß immer bewundernswürdig erscheinen, sei es auch pkl_171.018
nur durch die riesige Kraft, die er offenbart. Die im pkl_171.019
Gemüthe des Zuschauers geweckten Empfindungen dürfen pkl_171.020
jedoch nicht überspannt werden; das Gemüth darf pkl_171.021
weder durch ein unerträgliches Grausen gemartert, noch pkl_171.022
durch eine gränzenlose Angst gepeinigt, es soll erhoben pkl_171.023
werden. Zu diesem Zwecke ist zwar immer ein ernster pkl_171.024
Ausgang der Handlung nöthig (denn sonst würden pkl_171.025
die geweckten Gefühle auf vage Weise wieder zerstört pkl_171.026
werden), aber ein eigentlich trauriges Ende (der pkl_171.027
Tod des Helden) ist, wenn auch gewöhnlich, doch keineswegs pkl_171.028
durchaus erforderlich, weshalb auch der Name pkl_171.029
Trauerspiel nicht in allen Fällen dem entspricht, pkl_171.030
was wir Tragödie nennen. Die Hauptsache ist, daß pkl_171.031
der Totaleindruck ein wirklich tragischer sei: das
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