Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.pkl_169.001 §. 231. Bei allen christlichen Völkern ist an pkl_169.023 pkl_169.001 §. 231. Bei allen christlichen Völkern ist an pkl_169.023 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0195" n="169"/><lb n="pkl_169.001"/> Menschen in ihrer vollendetsten Gestalt heraustrat, <lb n="pkl_169.002"/> offenbarte sich zugleich die <hi rendition="#g">Gebundenheit,</hi> in welcher <lb n="pkl_169.003"/> sich der Mensch seiner <hi rendition="#g">sinnlichen Natur</hi> nach befindet <lb n="pkl_169.004"/> — <hi rendition="#g">übermenschliche Hoheit</hi> und <hi rendition="#g">menschliche <lb n="pkl_169.005"/> Wahrheit</hi> waren <hi rendition="#g">vereint</hi> und gaben dem <lb n="pkl_169.006"/> Drama das Gepräge des <hi rendition="#g">Erhabenen,</hi> welches das <lb n="pkl_169.007"/> Gemüth mit heiligem Schauer erfüllte. Diesem großartigen <lb n="pkl_169.008"/> <hi rendition="#g">Charakter</hi> der antiken Tragödie entsprach <lb n="pkl_169.009"/> auch die Art, wie dieselbe <hi rendition="#g">aufgeführt</hi> wurde. Nicht, <lb n="pkl_169.010"/> wie bei uns, in den engen, von dem düstern Schein <lb n="pkl_169.011"/> der Lampen meist spärlich erleuchteten Räumen eines <lb n="pkl_169.012"/> Schauspielhauses, sondern in den weiten Hallen eines <lb n="pkl_169.013"/> nach oben offenen Gebäudes und bei hellem Sonnenlichte <lb n="pkl_169.014"/> fand die theatralische Vorstellung statt. Nur <lb n="pkl_169.015"/> Jndividuen männlichen Geschlechts waren dabei thätig; <lb n="pkl_169.016"/> die äußere Erscheinung derselben erhielt durch den Bühnenschuh <lb n="pkl_169.017"/> (Kothurn) und die langen schleppenden Gewänder, <lb n="pkl_169.018"/> wie durch die, das Gesicht bedeckenden Masken, <lb n="pkl_169.019"/> die einestheils unkenntlich machten, anderntheils der <lb n="pkl_169.020"/> Stimme größere Stärke verliehen, etwas Uebermenschliches <lb n="pkl_169.021"/> und Heroisch-Göttliches.</p> <lb n="pkl_169.022"/> <p> §. 231. Bei allen <hi rendition="#g">christlichen</hi> Völkern ist an <lb n="pkl_169.023"/> die Stelle des Fatums, des blinden Schicksals, der <lb n="pkl_169.024"/> Glaube an den <hi rendition="#g">persönlichen Gott,</hi> an die, durch <lb n="pkl_169.025"/> seine Hand bewirkte <hi rendition="#g">allweise Lenkung der Weltgeschicke,</hi> <lb n="pkl_169.026"/> an die <hi rendition="#g">göttliche Vorsehung</hi> getreten; <lb n="pkl_169.027"/> dadurch aber ist eine ganz andere Anschauungsweise <lb n="pkl_169.028"/> der Dinge und des Laufes dieser Welt begründet worden. <lb n="pkl_169.029"/> Wenn man heut zu Tage das Wort Schicksal <lb n="pkl_169.030"/> braucht, so verbindet man mit demselben einen bei <lb n="pkl_169.031"/> weitem andern, als den ursprünglichen Begriff: „das </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [169/0195]
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Menschen in ihrer vollendetsten Gestalt heraustrat, pkl_169.002
offenbarte sich zugleich die Gebundenheit, in welcher pkl_169.003
sich der Mensch seiner sinnlichen Natur nach befindet pkl_169.004
— übermenschliche Hoheit und menschliche pkl_169.005
Wahrheit waren vereint und gaben dem pkl_169.006
Drama das Gepräge des Erhabenen, welches das pkl_169.007
Gemüth mit heiligem Schauer erfüllte. Diesem großartigen pkl_169.008
Charakter der antiken Tragödie entsprach pkl_169.009
auch die Art, wie dieselbe aufgeführt wurde. Nicht, pkl_169.010
wie bei uns, in den engen, von dem düstern Schein pkl_169.011
der Lampen meist spärlich erleuchteten Räumen eines pkl_169.012
Schauspielhauses, sondern in den weiten Hallen eines pkl_169.013
nach oben offenen Gebäudes und bei hellem Sonnenlichte pkl_169.014
fand die theatralische Vorstellung statt. Nur pkl_169.015
Jndividuen männlichen Geschlechts waren dabei thätig; pkl_169.016
die äußere Erscheinung derselben erhielt durch den Bühnenschuh pkl_169.017
(Kothurn) und die langen schleppenden Gewänder, pkl_169.018
wie durch die, das Gesicht bedeckenden Masken, pkl_169.019
die einestheils unkenntlich machten, anderntheils der pkl_169.020
Stimme größere Stärke verliehen, etwas Uebermenschliches pkl_169.021
und Heroisch-Göttliches.
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§. 231. Bei allen christlichen Völkern ist an pkl_169.023
die Stelle des Fatums, des blinden Schicksals, der pkl_169.024
Glaube an den persönlichen Gott, an die, durch pkl_169.025
seine Hand bewirkte allweise Lenkung der Weltgeschicke, pkl_169.026
an die göttliche Vorsehung getreten; pkl_169.027
dadurch aber ist eine ganz andere Anschauungsweise pkl_169.028
der Dinge und des Laufes dieser Welt begründet worden. pkl_169.029
Wenn man heut zu Tage das Wort Schicksal pkl_169.030
braucht, so verbindet man mit demselben einen bei pkl_169.031
weitem andern, als den ursprünglichen Begriff: „das
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