Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite
pkl_167.001

§. 228. Der Hauptarten der dramatischen pkl_167.002
Poesie sind vier, nämlich: 1) die Tragödie; 2) die pkl_167.003
Komödie; 3) das Schauspiel; 4) die Oper.

pkl_167.004
I. Die Tragödie.
pkl_167.005

§. 229. Die Art dramatischer Dichtungen, welche pkl_167.006
man im Deutschen Tragödien zu nennen pflegt, hat pkl_167.007
nicht nur den Namen von den Griechen entlehnt,*) pkl_167.008
sondern ruht auch in Rücksicht ihrer Entstehung und pkl_167.009
Ausbildung ganz auf griechischem Boden. Die pkl_167.010
Vorbilder, welche uns in den griechischen oder antiken pkl_167.011
Tragödien
gegeben sind, haben einerseits einen pkl_167.012
sehr wohlthätigen Einfluß auf die Kultivirung der pkl_167.013
deutschen Tragödie ausgeübt, anderseits aber ist durch pkl_167.014
die Aengstlichkeit, mit der man sich häufig an dieselben pkl_167.015
gebunden, eine heillose Begriffsverwirrung und manche pkl_167.016
poetische Mißgeburt erzeugt worden. So hat die antike pkl_167.017
Tragödie für die deutsche Literatur eine sehr hohe pkl_167.018
Bedeutung gewonnen; eine Bedeutung, die es uns zur pkl_167.019
Pflicht macht, bei der Betrachtung der deutschen Tragödie pkl_167.020
auf sie mit Rücksicht zu nehmen und ihre wesentlichen pkl_167.021
Eigenthümlichkeiten heraustreten zu lassen. Niemand pkl_167.022
hat, nach unserm Ermessen, das Wesen der pkl_167.023
griechischen und das der deutschen Tragödie und den

*) pkl_167.024
Anmerkung. Der Name Tragödie soll nach der gewöhnlichen pkl_167.025
Meinung so viel wie Bockgesang bedeuten pkl_167.026
und seinen Ursprung entweder von dem Umstande, daß pkl_167.027
bei den Bachusfesten, die man durch ernste lyrische oder pkl_167.028
heroische Gesänge feierte, dem Gott zu Ehren ein Bock pkl_167.029
geopfert wurde, oder von dem Gebrauch herschreiben, wonach pkl_167.030
man bei diesen Festen dem besten Sänger einen Bock pkl_167.031
als Preis zu Theil werden ließ.
pkl_167.001

§. 228. Der Hauptarten der dramatischen pkl_167.002
Poesie sind vier, nämlich: 1) die Tragödie; 2) die pkl_167.003
Komödie; 3) das Schauspiel; 4) die Oper.

pkl_167.004
I. Die Tragödie.
pkl_167.005

§. 229. Die Art dramatischer Dichtungen, welche pkl_167.006
man im Deutschen Tragödien zu nennen pflegt, hat pkl_167.007
nicht nur den Namen von den Griechen entlehnt,*) pkl_167.008
sondern ruht auch in Rücksicht ihrer Entstehung und pkl_167.009
Ausbildung ganz auf griechischem Boden. Die pkl_167.010
Vorbilder, welche uns in den griechischen oder antiken pkl_167.011
Tragödien
gegeben sind, haben einerseits einen pkl_167.012
sehr wohlthätigen Einfluß auf die Kultivirung der pkl_167.013
deutschen Tragödie ausgeübt, anderseits aber ist durch pkl_167.014
die Aengstlichkeit, mit der man sich häufig an dieselben pkl_167.015
gebunden, eine heillose Begriffsverwirrung und manche pkl_167.016
poetische Mißgeburt erzeugt worden. So hat die antike pkl_167.017
Tragödie für die deutsche Literatur eine sehr hohe pkl_167.018
Bedeutung gewonnen; eine Bedeutung, die es uns zur pkl_167.019
Pflicht macht, bei der Betrachtung der deutschen Tragödie pkl_167.020
auf sie mit Rücksicht zu nehmen und ihre wesentlichen pkl_167.021
Eigenthümlichkeiten heraustreten zu lassen. Niemand pkl_167.022
hat, nach unserm Ermessen, das Wesen der pkl_167.023
griechischen und das der deutschen Tragödie und den

*) pkl_167.024
Anmerkung. Der Name Tragödie soll nach der gewöhnlichen pkl_167.025
Meinung so viel wie Bockgesang bedeuten pkl_167.026
und seinen Ursprung entweder von dem Umstande, daß pkl_167.027
bei den Bachusfesten, die man durch ernste lyrische oder pkl_167.028
heroische Gesänge feierte, dem Gott zu Ehren ein Bock pkl_167.029
geopfert wurde, oder von dem Gebrauch herschreiben, wonach pkl_167.030
man bei diesen Festen dem besten Sänger einen Bock pkl_167.031
als Preis zu Theil werden ließ.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0193" n="167"/>
              <lb n="pkl_167.001"/>
              <p>  §. 228. Der <hi rendition="#g">Hauptarten</hi> der dramatischen <lb n="pkl_167.002"/>
Poesie sind vier, nämlich: 1) die <hi rendition="#g">Tragödie;</hi> 2) die <lb n="pkl_167.003"/> <hi rendition="#g">Komödie;</hi> 3) das <hi rendition="#g">Schauspiel;</hi> 4) die <hi rendition="#g">Oper.</hi></p>
              <lb n="pkl_167.004"/>
            </div>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">I</hi>. <hi rendition="#g">Die Tragödie.</hi></hi> </head>
              <lb n="pkl_167.005"/>
              <p>  §. 229. Die Art dramatischer Dichtungen, welche <lb n="pkl_167.006"/>
man im Deutschen <hi rendition="#g">Tragödien</hi> zu nennen pflegt, hat <lb n="pkl_167.007"/>
nicht nur den <hi rendition="#g">Namen</hi> von den <hi rendition="#g">Griechen</hi> entlehnt,<note xml:id="PKL_167_1" place="foot" n="*)"><lb n="pkl_167.024"/><hi rendition="#g">Anmerkung.</hi> Der Name <hi rendition="#g">Tragödie</hi> soll nach der gewöhnlichen <lb n="pkl_167.025"/>
Meinung so viel wie <hi rendition="#g">Bockgesang</hi> bedeuten <lb n="pkl_167.026"/>
und seinen Ursprung entweder von dem Umstande, daß <lb n="pkl_167.027"/>
bei den Bachusfesten, die man durch ernste lyrische oder <lb n="pkl_167.028"/>
heroische Gesänge feierte, dem Gott zu Ehren ein Bock <lb n="pkl_167.029"/>
geopfert wurde, oder von dem Gebrauch herschreiben, wonach <lb n="pkl_167.030"/>
man bei diesen Festen dem besten Sänger einen Bock <lb n="pkl_167.031"/>
als Preis zu Theil werden ließ.</note> <lb n="pkl_167.008"/>
sondern ruht auch in Rücksicht ihrer <hi rendition="#g">Entstehung</hi> und <lb n="pkl_167.009"/> <hi rendition="#g">Ausbildung</hi> ganz auf <hi rendition="#g">griechischem Boden.</hi> Die <lb n="pkl_167.010"/>
Vorbilder, welche uns in den <hi rendition="#g">griechischen</hi> oder <hi rendition="#g">antiken <lb n="pkl_167.011"/>
Tragödien</hi> gegeben sind, haben einerseits einen <lb n="pkl_167.012"/>
sehr wohlthätigen Einfluß auf die Kultivirung der <lb n="pkl_167.013"/>
deutschen Tragödie ausgeübt, anderseits aber ist durch <lb n="pkl_167.014"/>
die Aengstlichkeit, mit der man sich häufig an dieselben <lb n="pkl_167.015"/>
gebunden, eine heillose Begriffsverwirrung und manche <lb n="pkl_167.016"/>
poetische Mißgeburt erzeugt worden. So hat die antike <lb n="pkl_167.017"/>
Tragödie für die deutsche Literatur eine sehr hohe <lb n="pkl_167.018"/>
Bedeutung gewonnen; eine Bedeutung, die es uns zur <lb n="pkl_167.019"/>
Pflicht macht, bei der Betrachtung der deutschen Tragödie <lb n="pkl_167.020"/>
auf sie mit Rücksicht zu nehmen und ihre wesentlichen <lb n="pkl_167.021"/>
Eigenthümlichkeiten heraustreten zu lassen. Niemand <lb n="pkl_167.022"/>
hat, nach unserm Ermessen, das Wesen der <lb n="pkl_167.023"/>
griechischen und das der deutschen Tragödie und den
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0193] pkl_167.001 §. 228. Der Hauptarten der dramatischen pkl_167.002 Poesie sind vier, nämlich: 1) die Tragödie; 2) die pkl_167.003 Komödie; 3) das Schauspiel; 4) die Oper. pkl_167.004 I. Die Tragödie. pkl_167.005 §. 229. Die Art dramatischer Dichtungen, welche pkl_167.006 man im Deutschen Tragödien zu nennen pflegt, hat pkl_167.007 nicht nur den Namen von den Griechen entlehnt, *) pkl_167.008 sondern ruht auch in Rücksicht ihrer Entstehung und pkl_167.009 Ausbildung ganz auf griechischem Boden. Die pkl_167.010 Vorbilder, welche uns in den griechischen oder antiken pkl_167.011 Tragödien gegeben sind, haben einerseits einen pkl_167.012 sehr wohlthätigen Einfluß auf die Kultivirung der pkl_167.013 deutschen Tragödie ausgeübt, anderseits aber ist durch pkl_167.014 die Aengstlichkeit, mit der man sich häufig an dieselben pkl_167.015 gebunden, eine heillose Begriffsverwirrung und manche pkl_167.016 poetische Mißgeburt erzeugt worden. So hat die antike pkl_167.017 Tragödie für die deutsche Literatur eine sehr hohe pkl_167.018 Bedeutung gewonnen; eine Bedeutung, die es uns zur pkl_167.019 Pflicht macht, bei der Betrachtung der deutschen Tragödie pkl_167.020 auf sie mit Rücksicht zu nehmen und ihre wesentlichen pkl_167.021 Eigenthümlichkeiten heraustreten zu lassen. Niemand pkl_167.022 hat, nach unserm Ermessen, das Wesen der pkl_167.023 griechischen und das der deutschen Tragödie und den *) pkl_167.024 Anmerkung. Der Name Tragödie soll nach der gewöhnlichen pkl_167.025 Meinung so viel wie Bockgesang bedeuten pkl_167.026 und seinen Ursprung entweder von dem Umstande, daß pkl_167.027 bei den Bachusfesten, die man durch ernste lyrische oder pkl_167.028 heroische Gesänge feierte, dem Gott zu Ehren ein Bock pkl_167.029 geopfert wurde, oder von dem Gebrauch herschreiben, wonach pkl_167.030 man bei diesen Festen dem besten Sänger einen Bock pkl_167.031 als Preis zu Theil werden ließ.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/193
Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/193>, abgerufen am 24.11.2024.