Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

pkl_121.001
Je mehr dieses der Fall ist, je mehr die Handlungen pkl_121.002
der repräsentirenden Geschöpfe den Handlungsweisen pkl_121.003
der Menschen sich nähern, -- je größer wird die Wirksamkeit pkl_121.004
der Fabel sein.

pkl_121.005

§. 176. Der didaktische Zweck der Fabel muß pkl_121.006
aus der Erzählung unmittelbar selbst hervorspringen; pkl_121.007
eine besondere und ausführliche Aufführung der beabsichtigten pkl_121.008
Lehre halten wir für verwerflich. Wo sie stattfindet, pkl_121.009
erscheint sie entweder als überflüssig und schwächt pkl_121.010
den Eindruck, oder -- sie legt Beweis von der mangelhaften pkl_121.011
Bearbeitung des Faktums ab. Dagegen ist pkl_121.012
eine leise Andeutung in einzelnen Fällen nicht nur zulässig, pkl_121.013
sondern für die Schwächeren an Verständniß pkl_121.014
auch wohl nothwendig.

pkl_121.015

§. 177. Die Lehre der Fabel wird Moral genannt. pkl_121.016
Doch ist damit keineswegs gesagt, daß die Fabel pkl_121.017
immer eigentlich moralischer Tendenz sein müsse. pkl_121.018
Sie stellt vielmehr -- gleichsam "eine poetische pkl_121.019
Verkörperung des Sprichworts
-- frei von pkl_121.020
jeder religiös-dogmatischen, oder nationalen oder standesmäßigen pkl_121.021
Beziehung und Beschränkung, die allgemeinste pkl_121.022
Regel der Sitte und des Verkehrs fest und pkl_121.023
das giebt ihr den populären Charakter und den allgemeinen pkl_121.024
Werth." (Gervinus.)

pkl_121.025

§. 178. Es wird der Bemerkung kaum bedürfen, pkl_121.026
daß der Ausdruck der Tendenz der Fabel entsprechen pkl_121.027
und sich durch Einfachheit, Kürze und Bestimmtheit pkl_121.028
auszeichnen muß. Bestimmte Formen sind übrigens pkl_121.029
dabei nicht vorgeschrieben; die Fabel kann eben so wohl pkl_121.030
metrisch, als prosaisch, dialogisch oder erzählend pkl_121.031
gehalten sein. Die meisten Fabeln sind jedoch

pkl_121.001
Je mehr dieses der Fall ist, je mehr die Handlungen pkl_121.002
der repräsentirenden Geschöpfe den Handlungsweisen pkl_121.003
der Menschen sich nähern, — je größer wird die Wirksamkeit pkl_121.004
der Fabel sein.

pkl_121.005

§. 176. Der didaktische Zweck der Fabel muß pkl_121.006
aus der Erzählung unmittelbar selbst hervorspringen; pkl_121.007
eine besondere und ausführliche Aufführung der beabsichtigten pkl_121.008
Lehre halten wir für verwerflich. Wo sie stattfindet, pkl_121.009
erscheint sie entweder als überflüssig und schwächt pkl_121.010
den Eindruck, oder — sie legt Beweis von der mangelhaften pkl_121.011
Bearbeitung des Faktums ab. Dagegen ist pkl_121.012
eine leise Andeutung in einzelnen Fällen nicht nur zulässig, pkl_121.013
sondern für die Schwächeren an Verständniß pkl_121.014
auch wohl nothwendig.

pkl_121.015

§. 177. Die Lehre der Fabel wird Moral genannt. pkl_121.016
Doch ist damit keineswegs gesagt, daß die Fabel pkl_121.017
immer eigentlich moralischer Tendenz sein müsse. pkl_121.018
Sie stellt vielmehr — gleichsam „eine poetische pkl_121.019
Verkörperung des Sprichworts
— frei von pkl_121.020
jeder religiös-dogmatischen, oder nationalen oder standesmäßigen pkl_121.021
Beziehung und Beschränkung, die allgemeinste pkl_121.022
Regel der Sitte und des Verkehrs fest und pkl_121.023
das giebt ihr den populären Charakter und den allgemeinen pkl_121.024
Werth.“ (Gervinus.)

pkl_121.025

§. 178. Es wird der Bemerkung kaum bedürfen, pkl_121.026
daß der Ausdruck der Tendenz der Fabel entsprechen pkl_121.027
und sich durch Einfachheit, Kürze und Bestimmtheit pkl_121.028
auszeichnen muß. Bestimmte Formen sind übrigens pkl_121.029
dabei nicht vorgeschrieben; die Fabel kann eben so wohl pkl_121.030
metrisch, als prosaisch, dialogisch oder erzählend pkl_121.031
gehalten sein. Die meisten Fabeln sind jedoch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0147" n="121"/><lb n="pkl_121.001"/>
Je mehr dieses der Fall ist, je mehr die Handlungen <lb n="pkl_121.002"/>
der repräsentirenden Geschöpfe den Handlungsweisen <lb n="pkl_121.003"/>
der Menschen sich nähern, &#x2014; je größer wird die Wirksamkeit <lb n="pkl_121.004"/>
der Fabel sein.</p>
              <lb n="pkl_121.005"/>
              <p>  §. 176. Der <hi rendition="#g">didaktische Zweck</hi> der Fabel muß <lb n="pkl_121.006"/>
aus der Erzählung unmittelbar selbst hervorspringen; <lb n="pkl_121.007"/>
eine besondere und ausführliche Aufführung der beabsichtigten <lb n="pkl_121.008"/>
Lehre halten wir für verwerflich. Wo sie stattfindet, <lb n="pkl_121.009"/>
erscheint sie entweder als überflüssig und schwächt <lb n="pkl_121.010"/>
den Eindruck, oder &#x2014; sie legt Beweis von der mangelhaften <lb n="pkl_121.011"/>
Bearbeitung des Faktums ab. Dagegen ist <lb n="pkl_121.012"/>
eine leise Andeutung in einzelnen Fällen nicht nur zulässig, <lb n="pkl_121.013"/>
sondern für die Schwächeren an Verständniß <lb n="pkl_121.014"/>
auch wohl nothwendig.</p>
              <lb n="pkl_121.015"/>
              <p>  §. 177. Die <hi rendition="#g">Lehre</hi> der Fabel wird <hi rendition="#g">Moral</hi> genannt. <lb n="pkl_121.016"/>
Doch ist damit keineswegs gesagt, daß die Fabel <lb n="pkl_121.017"/>
immer eigentlich <hi rendition="#g">moralischer Tendenz</hi> sein müsse. <lb n="pkl_121.018"/>
Sie stellt vielmehr &#x2014; gleichsam &#x201E;<hi rendition="#g">eine poetische <lb n="pkl_121.019"/>
Verkörperung des Sprichworts</hi> &#x2014; frei von <lb n="pkl_121.020"/>
jeder religiös-dogmatischen, oder nationalen oder standesmäßigen <lb n="pkl_121.021"/>
Beziehung und Beschränkung, die allgemeinste <lb n="pkl_121.022"/>
Regel der Sitte und des Verkehrs fest und <lb n="pkl_121.023"/>
das giebt ihr den populären Charakter und den allgemeinen <lb n="pkl_121.024"/>
Werth.&#x201C; (<hi rendition="#g">Gervinus.</hi>)</p>
              <lb n="pkl_121.025"/>
              <p>  §. 178. Es wird der Bemerkung kaum bedürfen, <lb n="pkl_121.026"/>
daß der <hi rendition="#g">Ausdruck</hi> der Tendenz der Fabel entsprechen <lb n="pkl_121.027"/>
und sich durch Einfachheit, Kürze und Bestimmtheit <lb n="pkl_121.028"/>
auszeichnen muß. Bestimmte <hi rendition="#g">Formen</hi> sind übrigens <lb n="pkl_121.029"/>
dabei nicht vorgeschrieben; die Fabel kann eben so wohl <lb n="pkl_121.030"/> <hi rendition="#g">metrisch,</hi> als <hi rendition="#g">prosaisch, dialogisch</hi> oder <hi rendition="#g">erzählend</hi> <lb n="pkl_121.031"/>
gehalten sein. Die meisten Fabeln sind jedoch
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0147] pkl_121.001 Je mehr dieses der Fall ist, je mehr die Handlungen pkl_121.002 der repräsentirenden Geschöpfe den Handlungsweisen pkl_121.003 der Menschen sich nähern, — je größer wird die Wirksamkeit pkl_121.004 der Fabel sein. pkl_121.005 §. 176. Der didaktische Zweck der Fabel muß pkl_121.006 aus der Erzählung unmittelbar selbst hervorspringen; pkl_121.007 eine besondere und ausführliche Aufführung der beabsichtigten pkl_121.008 Lehre halten wir für verwerflich. Wo sie stattfindet, pkl_121.009 erscheint sie entweder als überflüssig und schwächt pkl_121.010 den Eindruck, oder — sie legt Beweis von der mangelhaften pkl_121.011 Bearbeitung des Faktums ab. Dagegen ist pkl_121.012 eine leise Andeutung in einzelnen Fällen nicht nur zulässig, pkl_121.013 sondern für die Schwächeren an Verständniß pkl_121.014 auch wohl nothwendig. pkl_121.015 §. 177. Die Lehre der Fabel wird Moral genannt. pkl_121.016 Doch ist damit keineswegs gesagt, daß die Fabel pkl_121.017 immer eigentlich moralischer Tendenz sein müsse. pkl_121.018 Sie stellt vielmehr — gleichsam „eine poetische pkl_121.019 Verkörperung des Sprichworts — frei von pkl_121.020 jeder religiös-dogmatischen, oder nationalen oder standesmäßigen pkl_121.021 Beziehung und Beschränkung, die allgemeinste pkl_121.022 Regel der Sitte und des Verkehrs fest und pkl_121.023 das giebt ihr den populären Charakter und den allgemeinen pkl_121.024 Werth.“ (Gervinus.) pkl_121.025 §. 178. Es wird der Bemerkung kaum bedürfen, pkl_121.026 daß der Ausdruck der Tendenz der Fabel entsprechen pkl_121.027 und sich durch Einfachheit, Kürze und Bestimmtheit pkl_121.028 auszeichnen muß. Bestimmte Formen sind übrigens pkl_121.029 dabei nicht vorgeschrieben; die Fabel kann eben so wohl pkl_121.030 metrisch, als prosaisch, dialogisch oder erzählend pkl_121.031 gehalten sein. Die meisten Fabeln sind jedoch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/147
Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/147>, abgerufen am 22.11.2024.