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Kirchhoff, Auguste: Frauenrechte - Volksrechte. Berlin, 1917.

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burg ein Erster-Klasse-Wähler 56x soviel Wahlrecht hat,
als ein Wähler dritter Klasse, - Zahlen, die sich in
Groß-Agrarbezirken und starken Industriezentren mit
vorwiegend Arbeiterbevölkerung auf der einen und Fi-
nanzgrößen auf der andern Seite noch sehr zu ungunsten
der dritten Klasse verschieben. Die Oeffentlichkeit der
Wahl macht natürlich die Wahlfreiheit der kleinen Be-
amten und Arbeitnehmer zum sehr zweifelhaften Be-
griff, - der indirekte Weg über den Wahlmann ver-
mindert den Einfluß auf die Wahl eines bestimmten Kan-
didaten.

Wir sehen: ein Wahlrecht fordern, "wie die Männer
es haben und haben werden", heißt vom Klassenstand-
punkt aus Ja sagen zu all dem Wahlunrecht, das wir vom
Standpunkt des Geschlechtes aus als aller Gerechtigkeit
Hohn sprechend empfinden und bekämpfen. Dürfen wir
Frauen das tun, wenn wir wirklich an unsere Mission
glauben, neue sittliche Werte ins politische Leben ein-
zufügen? Dürfen wir Gerechtigkeit für unser Geschlecht
fordern, wenn wir sie breiten Volksschichten vorent-
halten? Oder heißt das nicht etwa, den Kampf ins eigene
Lager tragen? Unter den Frauen haben wir Klassen-
unterschiede so gut wie unter den Männern, und die Ent-
rechtung weiter Frauenkreise würde noch viel größer
sein als die der Männer infolge der schlechteren Ent-
lohnung der Frauenarbeit, der im allgemeinen geringer
gewerteten Mädchenschulbildung und der Gesetzesbe-
stimmung, daß Ehefrauen, - auch solche, die über
eigenes Einkommen und Vermögen verfügen, - als selb-
ständige Steuerzahler nicht in Betracht kommen, sondern
in den Steuerlisten als Anhängsel des Mannes, geführt
werden. Auf der Steuerliste aber baut sich beim Klassen-
wahlrecht die Wählerliste auf. Das Resultat würde also
sein, daß weder die Ehefrauen, noch der größere Teil
der erwerbstätigen Frauen, von denen vor dem Kriege
nur 1/6 in leitenden, 5/6 aber in schlecht und mäßig be-
zahlten Stellen waren, irgend einen politischen Einfluß
bekommen würde, der nicht nur auf dem Papier steht.
Und auch beim Pluralwahlrecht würde bei der verhältnis-
mäßig geringen Anzahl studierter Frauen das Ergebnis
im wesentlichen starke Benachteiligung der Frau im
Verhältnis zum Manne und der Lohnarbeiterin gegenüber
der besitzenden Frau sein.

burg ein Erster-Klasse-Wähler 56x soviel Wahlrecht hat,
als ein Wähler dritter Klasse, – Zahlen, die sich in
Groß-Agrarbezirken und starken Industriezentren mit
vorwiegend Arbeiterbevölkerung auf der einen und Fi-
nanzgrößen auf der andern Seite noch sehr zu ungunsten
der dritten Klasse verschieben. Die Oeffentlichkeit der
Wahl macht natürlich die Wahlfreiheit der kleinen Be-
amten und Arbeitnehmer zum sehr zweifelhaften Be-
griff, – der indirekte Weg über den Wahlmann ver-
mindert den Einfluß auf die Wahl eines bestimmten Kan-
didaten.

Wir sehen: ein Wahlrecht fordern, „wie die Männer
es haben und haben werden“, heißt vom Klassenstand-
punkt aus Ja sagen zu all dem Wahlunrecht, das wir vom
Standpunkt des Geschlechtes aus als aller Gerechtigkeit
Hohn sprechend empfinden und bekämpfen. Dürfen wir
Frauen das tun, wenn wir wirklich an unsere Mission
glauben, neue sittliche Werte ins politische Leben ein-
zufügen? Dürfen wir Gerechtigkeit für unser Geschlecht
fordern, wenn wir sie breiten Volksschichten vorent-
halten? Oder heißt das nicht etwa, den Kampf ins eigene
Lager tragen? Unter den Frauen haben wir Klassen-
unterschiede so gut wie unter den Männern, und die Ent-
rechtung weiter Frauenkreise würde noch viel größer
sein als die der Männer infolge der schlechteren Ent-
lohnung der Frauenarbeit, der im allgemeinen geringer
gewerteten Mädchenschulbildung und der Gesetzesbe-
stimmung, daß Ehefrauen, – auch solche, die über
eigenes Einkommen und Vermögen verfügen, – als selb-
ständige Steuerzahler nicht in Betracht kommen, sondern
in den Steuerlisten als Anhängsel des Mannes, geführt
werden. Auf der Steuerliste aber baut sich beim Klassen-
wahlrecht die Wählerliste auf. Das Resultat würde also
sein, daß weder die Ehefrauen, noch der größere Teil
der erwerbstätigen Frauen, von denen vor dem Kriege
nur ⅙ in leitenden, ⅚ aber in schlecht und mäßig be-
zahlten Stellen waren, irgend einen politischen Einfluß
bekommen würde, der nicht nur auf dem Papier steht.
Und auch beim Pluralwahlrecht würde bei der verhältnis-
mäßig geringen Anzahl studierter Frauen das Ergebnis
im wesentlichen starke Benachteiligung der Frau im
Verhältnis zum Manne und der Lohnarbeiterin gegenüber
der besitzenden Frau sein.

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[9/0009] burg ein Erster-Klasse-Wähler 56x soviel Wahlrecht hat, als ein Wähler dritter Klasse, – Zahlen, die sich in Groß-Agrarbezirken und starken Industriezentren mit vorwiegend Arbeiterbevölkerung auf der einen und Fi- nanzgrößen auf der andern Seite noch sehr zu ungunsten der dritten Klasse verschieben. Die Oeffentlichkeit der Wahl macht natürlich die Wahlfreiheit der kleinen Be- amten und Arbeitnehmer zum sehr zweifelhaften Be- griff, – der indirekte Weg über den Wahlmann ver- mindert den Einfluß auf die Wahl eines bestimmten Kan- didaten. Wir sehen: ein Wahlrecht fordern, „wie die Männer es haben und haben werden“, heißt vom Klassenstand- punkt aus Ja sagen zu all dem Wahlunrecht, das wir vom Standpunkt des Geschlechtes aus als aller Gerechtigkeit Hohn sprechend empfinden und bekämpfen. Dürfen wir Frauen das tun, wenn wir wirklich an unsere Mission glauben, neue sittliche Werte ins politische Leben ein- zufügen? Dürfen wir Gerechtigkeit für unser Geschlecht fordern, wenn wir sie breiten Volksschichten vorent- halten? Oder heißt das nicht etwa, den Kampf ins eigene Lager tragen? Unter den Frauen haben wir Klassen- unterschiede so gut wie unter den Männern, und die Ent- rechtung weiter Frauenkreise würde noch viel größer sein als die der Männer infolge der schlechteren Ent- lohnung der Frauenarbeit, der im allgemeinen geringer gewerteten Mädchenschulbildung und der Gesetzesbe- stimmung, daß Ehefrauen, – auch solche, die über eigenes Einkommen und Vermögen verfügen, – als selb- ständige Steuerzahler nicht in Betracht kommen, sondern in den Steuerlisten als Anhängsel des Mannes, geführt werden. Auf der Steuerliste aber baut sich beim Klassen- wahlrecht die Wählerliste auf. Das Resultat würde also sein, daß weder die Ehefrauen, noch der größere Teil der erwerbstätigen Frauen, von denen vor dem Kriege nur ⅙ in leitenden, ⅚ aber in schlecht und mäßig be- zahlten Stellen waren, irgend einen politischen Einfluß bekommen würde, der nicht nur auf dem Papier steht. Und auch beim Pluralwahlrecht würde bei der verhältnis- mäßig geringen Anzahl studierter Frauen das Ergebnis im wesentlichen starke Benachteiligung der Frau im Verhältnis zum Manne und der Lohnarbeiterin gegenüber der besitzenden Frau sein.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-08-12T15:03:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-08-12T15:03:55Z)

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Zitationshilfe: Kirchhoff, Auguste: Frauenrechte - Volksrechte. Berlin, 1917, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_volksrechte_1917/9>, abgerufen am 23.11.2024.