Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.geblieben, erklären sie diese eigensinnig für die höchste, weil sie nur vornehm auf die Gegenwart hinab, nie demüthig zu ihr emporschauen möchten. Die andere Hälfte sind ganz jugendliche Talente von wenig eigener Erfahrung, wie Ida. Diese sprechen blindlings dem stabilen Urtheil eines Lehrers nach, der das Lernen seit dem neunzehnten Jahrhundert aufgegeben, oder sie lassen sich von der Ansicht irgend eines Familienoberhauptes beherrschen welches bloß in der Jugend Begeisterung für Musik hatte und, anstatt in sich selber, in dem Geiste der neuen Zeit die Erstarrung spürt. Ueberzeugt, daß diese Kunstansicht so schwer und langsam zu heilen ist, wie eine fixe Idee, brach Sohling das Thema ab und fragte: Ist es Ihnen schon gelungen, Schülerinnen zu finden? Auf Ida's verneinende Antwort fuhr er fort: Daran kann Ihre entlegene Wohnung schuld sein. Wir Künstler sind mit unserm Erwerb leider auf die Gunst der Vornehmen angewiesen und müssen uns in deren Anforderungen fügen, sollten uns diese auch bloße Vorurtheile dünken. Wohnten Sie mitten in der Stadt in einem eleganteren Hause -- So hatte ich's angefangen, unterbrach ihn Ida, aber damals fehlte es mir an der Energie, deren es bedarf, um die ersten Schritte in die Oeffentlichkeit zu thun. Ich blieb immer zu Hause und hatte keine Lust Protection zu suchen. Nach ein paar Monaten vergeblichen Wartens sah ich die Nothwendigkeit ein, zu geblieben, erklären sie diese eigensinnig für die höchste, weil sie nur vornehm auf die Gegenwart hinab, nie demüthig zu ihr emporschauen möchten. Die andere Hälfte sind ganz jugendliche Talente von wenig eigener Erfahrung, wie Ida. Diese sprechen blindlings dem stabilen Urtheil eines Lehrers nach, der das Lernen seit dem neunzehnten Jahrhundert aufgegeben, oder sie lassen sich von der Ansicht irgend eines Familienoberhauptes beherrschen welches bloß in der Jugend Begeisterung für Musik hatte und, anstatt in sich selber, in dem Geiste der neuen Zeit die Erstarrung spürt. Ueberzeugt, daß diese Kunstansicht so schwer und langsam zu heilen ist, wie eine fixe Idee, brach Sohling das Thema ab und fragte: Ist es Ihnen schon gelungen, Schülerinnen zu finden? Auf Ida's verneinende Antwort fuhr er fort: Daran kann Ihre entlegene Wohnung schuld sein. Wir Künstler sind mit unserm Erwerb leider auf die Gunst der Vornehmen angewiesen und müssen uns in deren Anforderungen fügen, sollten uns diese auch bloße Vorurtheile dünken. Wohnten Sie mitten in der Stadt in einem eleganteren Hause — So hatte ich's angefangen, unterbrach ihn Ida, aber damals fehlte es mir an der Energie, deren es bedarf, um die ersten Schritte in die Oeffentlichkeit zu thun. Ich blieb immer zu Hause und hatte keine Lust Protection zu suchen. Nach ein paar Monaten vergeblichen Wartens sah ich die Nothwendigkeit ein, zu <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0052"/> geblieben, erklären sie diese eigensinnig für die höchste, weil sie nur vornehm auf die Gegenwart hinab, nie demüthig zu ihr emporschauen möchten. Die andere Hälfte sind ganz jugendliche Talente von wenig eigener Erfahrung, wie Ida. Diese sprechen blindlings dem stabilen Urtheil eines Lehrers nach, der das Lernen seit dem neunzehnten Jahrhundert aufgegeben, oder sie lassen sich von der Ansicht irgend eines Familienoberhauptes beherrschen welches bloß in der Jugend Begeisterung für Musik hatte und, anstatt in sich selber, in dem Geiste der neuen Zeit die Erstarrung spürt.</p><lb/> <p>Ueberzeugt, daß diese Kunstansicht so schwer und langsam zu heilen ist, wie eine fixe Idee, brach Sohling das Thema ab und fragte: Ist es Ihnen schon gelungen, Schülerinnen zu finden?</p><lb/> <p>Auf Ida's verneinende Antwort fuhr er fort: Daran kann Ihre entlegene Wohnung schuld sein. Wir Künstler sind mit unserm Erwerb leider auf die Gunst der Vornehmen angewiesen und müssen uns in deren Anforderungen fügen, sollten uns diese auch bloße Vorurtheile dünken. Wohnten Sie mitten in der Stadt in einem eleganteren Hause —</p><lb/> <p>So hatte ich's angefangen, unterbrach ihn Ida, aber damals fehlte es mir an der Energie, deren es bedarf, um die ersten Schritte in die Oeffentlichkeit zu thun. Ich blieb immer zu Hause und hatte keine Lust Protection zu suchen. Nach ein paar Monaten vergeblichen Wartens sah ich die Nothwendigkeit ein, zu<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
geblieben, erklären sie diese eigensinnig für die höchste, weil sie nur vornehm auf die Gegenwart hinab, nie demüthig zu ihr emporschauen möchten. Die andere Hälfte sind ganz jugendliche Talente von wenig eigener Erfahrung, wie Ida. Diese sprechen blindlings dem stabilen Urtheil eines Lehrers nach, der das Lernen seit dem neunzehnten Jahrhundert aufgegeben, oder sie lassen sich von der Ansicht irgend eines Familienoberhauptes beherrschen welches bloß in der Jugend Begeisterung für Musik hatte und, anstatt in sich selber, in dem Geiste der neuen Zeit die Erstarrung spürt.
Ueberzeugt, daß diese Kunstansicht so schwer und langsam zu heilen ist, wie eine fixe Idee, brach Sohling das Thema ab und fragte: Ist es Ihnen schon gelungen, Schülerinnen zu finden?
Auf Ida's verneinende Antwort fuhr er fort: Daran kann Ihre entlegene Wohnung schuld sein. Wir Künstler sind mit unserm Erwerb leider auf die Gunst der Vornehmen angewiesen und müssen uns in deren Anforderungen fügen, sollten uns diese auch bloße Vorurtheile dünken. Wohnten Sie mitten in der Stadt in einem eleganteren Hause —
So hatte ich's angefangen, unterbrach ihn Ida, aber damals fehlte es mir an der Energie, deren es bedarf, um die ersten Schritte in die Oeffentlichkeit zu thun. Ich blieb immer zu Hause und hatte keine Lust Protection zu suchen. Nach ein paar Monaten vergeblichen Wartens sah ich die Nothwendigkeit ein, zu
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