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Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Klavier her mir entgegen, dies sei aber wirklich ein so gräuliches ugly piece, daß man es der poor creature nicht zumuthen dürfe. Sie hatten es Alle probirt, und die ältesten Misses, die im Hause für Virtuosinnen galten, hatten es auch most ugly gefunden. Ich setzte mich hin und begann die Etüde, die ganz natürliche, wohlklingende Accorde hatte, da unterbrach mich der gellende Ausruf der Mutter und aller drei Töchter: The treblekey, the treblekey, oh dear, the treblekey! Der alte Herr kam herbei, betrachtete das Notenheft und schüttelte sich vor Lachen, indem er immer im tiefsten Baß wiederholte: 0 ho, the treblekey, ho, ho, ho, the treblekey! Zu diesen langsam hervorgestoßenen Lauten klang das Gekicher der Weiber wie ein figurirter Contrapunkt in der ersten Violine zum Cantus firmus der Baßtuba; sie wurden nicht müde, einander Zuzurufen: The treblekey, yes indeed, the treblekey! Ich stand, als wenn ich in ein Narrenhaus gerathen wäre, und begriff nichts, bis mir die Eine explicirte, daß der Violinschlüssel auf Englisch the treblekey heiße, und daß sie bei jenem Stück Alle übersehen hätten, daß dieses Zeichen auch der linken Hand vorgeschrieben sei. Da hatten sie denn freilich eine höllische Harmonie hervorgebracht.

Ein Anderer sagte: Man lacht wohl über dergleichen Dummheiten, aber es bleibt doch wahr, daß ein Klavierlehrer ein gequälter Mensch ist. Die Anfänger auf einem Streich- oder Blaseinstrument können

Klavier her mir entgegen, dies sei aber wirklich ein so gräuliches ugly piece, daß man es der poor creature nicht zumuthen dürfe. Sie hatten es Alle probirt, und die ältesten Misses, die im Hause für Virtuosinnen galten, hatten es auch most ugly gefunden. Ich setzte mich hin und begann die Etüde, die ganz natürliche, wohlklingende Accorde hatte, da unterbrach mich der gellende Ausruf der Mutter und aller drei Töchter: The treblekey, the treblekey, oh dear, the treblekey! Der alte Herr kam herbei, betrachtete das Notenheft und schüttelte sich vor Lachen, indem er immer im tiefsten Baß wiederholte: 0 ho, the treblekey, ho, ho, ho, the treblekey! Zu diesen langsam hervorgestoßenen Lauten klang das Gekicher der Weiber wie ein figurirter Contrapunkt in der ersten Violine zum Cantus firmus der Baßtuba; sie wurden nicht müde, einander Zuzurufen: The treblekey, yes indeed, the treblekey! Ich stand, als wenn ich in ein Narrenhaus gerathen wäre, und begriff nichts, bis mir die Eine explicirte, daß der Violinschlüssel auf Englisch the treblekey heiße, und daß sie bei jenem Stück Alle übersehen hätten, daß dieses Zeichen auch der linken Hand vorgeschrieben sei. Da hatten sie denn freilich eine höllische Harmonie hervorgebracht.

Ein Anderer sagte: Man lacht wohl über dergleichen Dummheiten, aber es bleibt doch wahr, daß ein Klavierlehrer ein gequälter Mensch ist. Die Anfänger auf einem Streich- oder Blaseinstrument können

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Klavier her mir entgegen, dies      sei aber wirklich ein so gräuliches ugly piece, daß man es der poor creature nicht zumuthen      dürfe. Sie hatten es Alle probirt, und die ältesten Misses, die im Hause für Virtuosinnen      galten, hatten es auch most ugly gefunden. Ich setzte mich hin und begann die Etüde, die ganz      natürliche, wohlklingende Accorde hatte, da unterbrach mich der gellende Ausruf der Mutter und      aller drei Töchter: The treblekey, the treblekey, oh dear, the treblekey! Der alte Herr kam      herbei, betrachtete das Notenheft und schüttelte sich vor Lachen, indem er immer im tiefsten      Baß wiederholte: 0 ho, the treblekey, ho, ho, ho, the treblekey! Zu diesen langsam      hervorgestoßenen Lauten klang das Gekicher der Weiber wie ein figurirter Contrapunkt in der      ersten Violine zum Cantus firmus der Baßtuba; sie wurden nicht müde, einander Zuzurufen: The      treblekey, yes indeed, the treblekey! Ich stand, als wenn ich in ein Narrenhaus gerathen wäre,      und begriff nichts, bis mir die Eine explicirte, daß der Violinschlüssel auf Englisch the      treblekey heiße, und daß sie bei jenem Stück Alle übersehen hätten, daß dieses Zeichen auch der      linken Hand vorgeschrieben sei. Da hatten sie denn freilich eine höllische Harmonie      hervorgebracht.</p><lb/>
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[0047] Klavier her mir entgegen, dies sei aber wirklich ein so gräuliches ugly piece, daß man es der poor creature nicht zumuthen dürfe. Sie hatten es Alle probirt, und die ältesten Misses, die im Hause für Virtuosinnen galten, hatten es auch most ugly gefunden. Ich setzte mich hin und begann die Etüde, die ganz natürliche, wohlklingende Accorde hatte, da unterbrach mich der gellende Ausruf der Mutter und aller drei Töchter: The treblekey, the treblekey, oh dear, the treblekey! Der alte Herr kam herbei, betrachtete das Notenheft und schüttelte sich vor Lachen, indem er immer im tiefsten Baß wiederholte: 0 ho, the treblekey, ho, ho, ho, the treblekey! Zu diesen langsam hervorgestoßenen Lauten klang das Gekicher der Weiber wie ein figurirter Contrapunkt in der ersten Violine zum Cantus firmus der Baßtuba; sie wurden nicht müde, einander Zuzurufen: The treblekey, yes indeed, the treblekey! Ich stand, als wenn ich in ein Narrenhaus gerathen wäre, und begriff nichts, bis mir die Eine explicirte, daß der Violinschlüssel auf Englisch the treblekey heiße, und daß sie bei jenem Stück Alle übersehen hätten, daß dieses Zeichen auch der linken Hand vorgeschrieben sei. Da hatten sie denn freilich eine höllische Harmonie hervorgebracht. Ein Anderer sagte: Man lacht wohl über dergleichen Dummheiten, aber es bleibt doch wahr, daß ein Klavierlehrer ein gequälter Mensch ist. Die Anfänger auf einem Streich- oder Blaseinstrument können

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:10:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:10:50Z)

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Zitationshilfe: Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/47>, abgerufen am 27.11.2024.