Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ohnehin zu Gebot, was diese Stadt an Kunstgenüssen bietet. Was sollte ihn vermögen, gerade mich auszuzeichnen, wenn es nicht der Zug seines gütigen, wohlwollenden Herzens wäre! Das ist just das Gefährliche, daß wirklich ein Funke in dies alte entzündbare Herz gefallen ist. Sie verstehen nur zu schlecht Ihren Vortheil und dämpfen den durch Ihr Entgegenkommen, anstatt ihn anzufachen. Das hätte mir in meiner Jugend vorkommen sollen, ich hätte die Sache ganz anders angefangen. Dieser Selvar hat's mit den meisten Männern gemein: wenden wir uns von Einem ab, so verfolgt er uns; merkt Einer, daß unser Herz ihm nachgezogen wird, so erkältet sich das seine. Sobald Sie merkten, daß Sie auf dem Wege waren, ihm unentbehrlich zu werden, da hätten Sie sich selten machen müssen und gerade dann nicht kommen dürfen, wenn er am dringendsten Sie einlud. Dann wäre ihm endlich der Gedanke aufgestiegen: was hindert mich, mir meinen Lebensabend so hell wie möglich zu schaffen! Und er hätte alle Rücksichten über den Haufen geworfen, um Sie für immer zu fesseln. Aber nun, was braucht er sich der Mißbilligung seiner Familie, dem Spott seiner Standesgenossen auszusetzen, um ein Herz zu gewinnen, das sich ihm ohne alle Bedingungen zu Füßen wirft? Ida rief empört: Welche unwürdige Rolle muthen Sie mir zu! Also den Egoismus in der Liebe, den Sie am Manne tadeln, empfehlen Sie? mir als Tugend ohnehin zu Gebot, was diese Stadt an Kunstgenüssen bietet. Was sollte ihn vermögen, gerade mich auszuzeichnen, wenn es nicht der Zug seines gütigen, wohlwollenden Herzens wäre! Das ist just das Gefährliche, daß wirklich ein Funke in dies alte entzündbare Herz gefallen ist. Sie verstehen nur zu schlecht Ihren Vortheil und dämpfen den durch Ihr Entgegenkommen, anstatt ihn anzufachen. Das hätte mir in meiner Jugend vorkommen sollen, ich hätte die Sache ganz anders angefangen. Dieser Selvar hat's mit den meisten Männern gemein: wenden wir uns von Einem ab, so verfolgt er uns; merkt Einer, daß unser Herz ihm nachgezogen wird, so erkältet sich das seine. Sobald Sie merkten, daß Sie auf dem Wege waren, ihm unentbehrlich zu werden, da hätten Sie sich selten machen müssen und gerade dann nicht kommen dürfen, wenn er am dringendsten Sie einlud. Dann wäre ihm endlich der Gedanke aufgestiegen: was hindert mich, mir meinen Lebensabend so hell wie möglich zu schaffen! Und er hätte alle Rücksichten über den Haufen geworfen, um Sie für immer zu fesseln. Aber nun, was braucht er sich der Mißbilligung seiner Familie, dem Spott seiner Standesgenossen auszusetzen, um ein Herz zu gewinnen, das sich ihm ohne alle Bedingungen zu Füßen wirft? Ida rief empört: Welche unwürdige Rolle muthen Sie mir zu! Also den Egoismus in der Liebe, den Sie am Manne tadeln, empfehlen Sie? mir als Tugend <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0034"/> ohnehin zu Gebot, was diese Stadt an Kunstgenüssen bietet. Was sollte ihn vermögen, gerade mich auszuzeichnen, wenn es nicht der Zug seines gütigen, wohlwollenden Herzens wäre!</p><lb/> <p>Das ist just das Gefährliche, daß wirklich ein Funke in dies alte entzündbare Herz gefallen ist. Sie verstehen nur zu schlecht Ihren Vortheil und dämpfen den durch Ihr Entgegenkommen, anstatt ihn anzufachen. Das hätte mir in meiner Jugend vorkommen sollen, ich hätte die Sache ganz anders angefangen. Dieser Selvar hat's mit den meisten Männern gemein: wenden wir uns von Einem ab, so verfolgt er uns; merkt Einer, daß unser Herz ihm nachgezogen wird, so erkältet sich das seine. Sobald Sie merkten, daß Sie auf dem Wege waren, ihm unentbehrlich zu werden, da hätten Sie sich selten machen müssen und gerade dann nicht kommen dürfen, wenn er am dringendsten Sie einlud. Dann wäre ihm endlich der Gedanke aufgestiegen: was hindert mich, mir meinen Lebensabend so hell wie möglich zu schaffen! Und er hätte alle Rücksichten über den Haufen geworfen, um Sie für immer zu fesseln. Aber nun, was braucht er sich der Mißbilligung seiner Familie, dem Spott seiner Standesgenossen auszusetzen, um ein Herz zu gewinnen, das sich ihm ohne alle Bedingungen zu Füßen wirft?</p><lb/> <p>Ida rief empört: Welche unwürdige Rolle muthen Sie mir zu! Also den Egoismus in der Liebe, den Sie am Manne tadeln, empfehlen Sie? mir als Tugend<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0034]
ohnehin zu Gebot, was diese Stadt an Kunstgenüssen bietet. Was sollte ihn vermögen, gerade mich auszuzeichnen, wenn es nicht der Zug seines gütigen, wohlwollenden Herzens wäre!
Das ist just das Gefährliche, daß wirklich ein Funke in dies alte entzündbare Herz gefallen ist. Sie verstehen nur zu schlecht Ihren Vortheil und dämpfen den durch Ihr Entgegenkommen, anstatt ihn anzufachen. Das hätte mir in meiner Jugend vorkommen sollen, ich hätte die Sache ganz anders angefangen. Dieser Selvar hat's mit den meisten Männern gemein: wenden wir uns von Einem ab, so verfolgt er uns; merkt Einer, daß unser Herz ihm nachgezogen wird, so erkältet sich das seine. Sobald Sie merkten, daß Sie auf dem Wege waren, ihm unentbehrlich zu werden, da hätten Sie sich selten machen müssen und gerade dann nicht kommen dürfen, wenn er am dringendsten Sie einlud. Dann wäre ihm endlich der Gedanke aufgestiegen: was hindert mich, mir meinen Lebensabend so hell wie möglich zu schaffen! Und er hätte alle Rücksichten über den Haufen geworfen, um Sie für immer zu fesseln. Aber nun, was braucht er sich der Mißbilligung seiner Familie, dem Spott seiner Standesgenossen auszusetzen, um ein Herz zu gewinnen, das sich ihm ohne alle Bedingungen zu Füßen wirft?
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Zitationshilfe: | Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/34>, abgerufen am 16.02.2025. |