Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.stünde. Ich will einmal in die Mühle hinüber und hören, ob sie da noch nichts von ihm wissen. - Mit diesen Worten ging sie fort, Margret blieb mit bösen Ahnungen allein. Das Kind lag noch immer ruhig. Gegen neun Uhr kam die Tante zurück. Der Michel von der obern Mühle ist eben vorbei gekommen, sagte sie. Es ist ein bös Wetter draußen im Wald, der Nordwind hat den Fahrweg mit Schnee verweht, so hoch, daß drei Männer über einander stehen könnten und sähen doch nicht drüber weg. Unser Paul ist bis an die Enge gefahren, da ist ihm der Wagen im Schnee sitzen geblieben: der Michel hat ihn da stecken sehen; der Paul aber muß die Pferde ausgespannt haben und nach Blankenheim in die Herberge zurück geritten sein. Margret rang die Hände: Also die Tropfen bekomme ich nicht vor der Nacht? Konnte er denn die nicht durch Jemand zu Fuße heraufschicken? Ja, sagte die Tante, wenn er Einen fände. Aber Michel hat erzählt, daß sie drunten zu Blankenheim von nichts reden als von den Wölfen. Es ist ein Menschenwolf im Zitterwald, oder gar viele; gestern Morgen in der Frühe haben sie ein Jüngelchen zerrissen, das nach dem Kyllthal in die Schule ging. Die Dörfer haben sich zusammengethan und wollen nächster Tage eine große Jagd halten. Während die Alte diesen Bericht gab, zuckte das Kind in seiner Wiege zusammen und schrie laut auf. stünde. Ich will einmal in die Mühle hinüber und hören, ob sie da noch nichts von ihm wissen. – Mit diesen Worten ging sie fort, Margret blieb mit bösen Ahnungen allein. Das Kind lag noch immer ruhig. Gegen neun Uhr kam die Tante zurück. Der Michel von der obern Mühle ist eben vorbei gekommen, sagte sie. Es ist ein bös Wetter draußen im Wald, der Nordwind hat den Fahrweg mit Schnee verweht, so hoch, daß drei Männer über einander stehen könnten und sähen doch nicht drüber weg. Unser Paul ist bis an die Enge gefahren, da ist ihm der Wagen im Schnee sitzen geblieben: der Michel hat ihn da stecken sehen; der Paul aber muß die Pferde ausgespannt haben und nach Blankenheim in die Herberge zurück geritten sein. Margret rang die Hände: Also die Tropfen bekomme ich nicht vor der Nacht? Konnte er denn die nicht durch Jemand zu Fuße heraufschicken? Ja, sagte die Tante, wenn er Einen fände. Aber Michel hat erzählt, daß sie drunten zu Blankenheim von nichts reden als von den Wölfen. Es ist ein Menschenwolf im Zitterwald, oder gar viele; gestern Morgen in der Frühe haben sie ein Jüngelchen zerrissen, das nach dem Kyllthal in die Schule ging. Die Dörfer haben sich zusammengethan und wollen nächster Tage eine große Jagd halten. Während die Alte diesen Bericht gab, zuckte das Kind in seiner Wiege zusammen und schrie laut auf. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0052"/> stünde. Ich will einmal in die Mühle hinüber und hören, ob sie da noch nichts von ihm wissen. – Mit diesen Worten ging sie fort, Margret blieb mit bösen Ahnungen allein. Das Kind lag noch immer ruhig.</p><lb/> <p>Gegen neun Uhr kam die Tante zurück. Der Michel von der obern Mühle ist eben vorbei gekommen, sagte sie. Es ist ein bös Wetter draußen im Wald, der Nordwind hat den Fahrweg mit Schnee verweht, so hoch, daß drei Männer über einander stehen könnten und sähen doch nicht drüber weg. Unser Paul ist bis an die Enge gefahren, da ist ihm der Wagen im Schnee sitzen geblieben: der Michel hat ihn da stecken sehen; der Paul aber muß die Pferde ausgespannt haben und nach Blankenheim in die Herberge zurück geritten sein.</p><lb/> <p>Margret rang die Hände: Also die Tropfen bekomme ich nicht vor der Nacht? Konnte er denn die nicht durch Jemand zu Fuße heraufschicken?</p><lb/> <p>Ja, sagte die Tante, wenn er Einen fände. Aber Michel hat erzählt, daß sie drunten zu Blankenheim von nichts reden als von den Wölfen. Es ist ein Menschenwolf im Zitterwald, oder gar viele; gestern Morgen in der Frühe haben sie ein Jüngelchen zerrissen, das nach dem Kyllthal in die Schule ging. Die Dörfer haben sich zusammengethan und wollen nächster Tage eine große Jagd halten.</p><lb/> <p>Während die Alte diesen Bericht gab, zuckte das Kind in seiner Wiege zusammen und schrie laut auf.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
stünde. Ich will einmal in die Mühle hinüber und hören, ob sie da noch nichts von ihm wissen. – Mit diesen Worten ging sie fort, Margret blieb mit bösen Ahnungen allein. Das Kind lag noch immer ruhig.
Gegen neun Uhr kam die Tante zurück. Der Michel von der obern Mühle ist eben vorbei gekommen, sagte sie. Es ist ein bös Wetter draußen im Wald, der Nordwind hat den Fahrweg mit Schnee verweht, so hoch, daß drei Männer über einander stehen könnten und sähen doch nicht drüber weg. Unser Paul ist bis an die Enge gefahren, da ist ihm der Wagen im Schnee sitzen geblieben: der Michel hat ihn da stecken sehen; der Paul aber muß die Pferde ausgespannt haben und nach Blankenheim in die Herberge zurück geritten sein.
Margret rang die Hände: Also die Tropfen bekomme ich nicht vor der Nacht? Konnte er denn die nicht durch Jemand zu Fuße heraufschicken?
Ja, sagte die Tante, wenn er Einen fände. Aber Michel hat erzählt, daß sie drunten zu Blankenheim von nichts reden als von den Wölfen. Es ist ein Menschenwolf im Zitterwald, oder gar viele; gestern Morgen in der Frühe haben sie ein Jüngelchen zerrissen, das nach dem Kyllthal in die Schule ging. Die Dörfer haben sich zusammengethan und wollen nächster Tage eine große Jagd halten.
Während die Alte diesen Bericht gab, zuckte das Kind in seiner Wiege zusammen und schrie laut auf.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910/52 |
Zitationshilfe: | Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910/52>, abgerufen am 17.02.2025. |