Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.
Im himmelblauen Tag, wo nichts mich kann umschließen, Den Lüften, den Sternen gegeben -- Es liegt die Welt, wie klein zu meinen Füßen. Sie breiten wohl die Arme nach mir aus, Die Männlein da, erstaunt ob meinem Flug, Doch bleiben fest sie, jenen hält ein Haus, Den eine Scheune, den ein Ochs, ein Pflug, Ich aber werfe meinen lezten Heller Mich zu erleichtern stolz auf sie hinab, Und fliege himmelauf noch schneller. (Geht ab.) Die Fräu. Mir aber, bitt ich! grab' vorerst mein Grab. (Sie weint.) Der Schmid. Laßt es euch nicht Angst seyn, liebe Frau! er findet's nicht! (Für sich.) Und mit dem lezten Heller ists auch nicht so richtig, der ist, glaub' ich, schon lang weggeworfen. Die Vorhänge von den Bettstellen weg, alles fort! nur noch ein Stuhl. Die Frau. O ihr kennt ihn nicht! ihr kennt nicht seine Leiden- schaft! alles, alles versucht er! Seit einigen Nächten geht er immer auf seinem Kirch- hofe draußen herum, er hat gar keine Ruhe mehr. Und schläft er auch einmal ermattet ein, so muß es ihm immer im Traume seyn, als flöge er. Alle Morgen sagt er: "heute, Weib! bin ich im Traume geflogen, und es wird, es muß noch zur Wirklichkeit wer- den." Gestern morgen sagte er: "O diese Nacht! wie
Im himmelblauen Tag, wo nichts mich kann umſchließen, Den Luͤften, den Sternen gegeben — Es liegt die Welt, wie klein zu meinen Fuͤßen. Sie breiten wohl die Arme nach mir aus, Die Maͤnnlein da, erſtaunt ob meinem Flug, Doch bleiben feſt ſie, jenen haͤlt ein Haus, Den eine Scheune, den ein Ochs, ein Pflug, Ich aber werfe meinen lezten Heller Mich zu erleichtern ſtolz auf ſie hinab, Und fliege himmelauf noch ſchneller. (Geht ab.) Die Fraͤu. Mir aber, bitt ich! grab' vorerſt mein Grab. (Sie weint.) Der Schmid. Laßt es euch nicht Angſt ſeyn, liebe Frau! er findet's nicht! (Fuͤr ſich.) Und mit dem lezten Heller iſts auch nicht ſo richtig, der iſt, glaub' ich, ſchon lang weggeworfen. Die Vorhaͤnge von den Bettſtellen weg, alles fort! nur noch ein Stuhl. Die Frau. O ihr kennt ihn nicht! ihr kennt nicht ſeine Leiden- ſchaft! alles, alles verſucht er! Seit einigen Naͤchten geht er immer auf ſeinem Kirch- hofe draußen herum, er hat gar keine Ruhe mehr. Und ſchlaͤft er auch einmal ermattet ein, ſo muß es ihm immer im Traume ſeyn, als floͤge er. Alle Morgen ſagt er: „heute, Weib! bin ich im Traume geflogen, und es wird, es muß noch zur Wirklichkeit wer- den.“ Geſtern morgen ſagte er: „O dieſe Nacht! wie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp> <p><pb facs="#f0220" n="208"/> Im himmelblauen Tag, wo nichts mich kann umſchließen,<lb/> Den Luͤften, den Sternen gegeben —<lb/> Es liegt die Welt, wie klein zu meinen Fuͤßen.<lb/> Sie breiten wohl die Arme nach mir aus,<lb/> Die Maͤnnlein da, erſtaunt ob meinem Flug,<lb/> Doch bleiben feſt ſie, jenen haͤlt ein Haus,<lb/> Den eine Scheune, den ein Ochs, ein Pflug,<lb/> Ich aber werfe meinen lezten Heller<lb/> Mich zu erleichtern ſtolz auf ſie hinab,<lb/> Und fliege himmelauf noch ſchneller.</p> </sp><lb/> <stage>(Geht ab.)</stage><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Die Fraͤu</hi>.</speaker><lb/> <p>Mir aber, bitt ich! grab' vorerſt mein Grab.</p> </sp><lb/> <stage>(Sie weint.)</stage><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Der Schmid</hi>.</speaker><lb/> <p>Laßt es euch nicht Angſt ſeyn, liebe Frau! er findet's<lb/> nicht!</p> <stage>(Fuͤr ſich.)</stage> <p>Und mit dem lezten Heller iſts auch nicht<lb/> ſo richtig, der iſt, glaub' ich, ſchon lang weggeworfen. Die<lb/> Vorhaͤnge von den Bettſtellen weg, alles fort! nur noch ein<lb/> Stuhl.</p> </sp><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Die Frau</hi>.</speaker><lb/> <p>O ihr kennt ihn nicht! ihr kennt nicht ſeine Leiden-<lb/> ſchaft! alles, alles verſucht er!</p><lb/> <p>Seit einigen Naͤchten geht er immer auf ſeinem Kirch-<lb/> hofe draußen herum, er hat gar keine Ruhe mehr. Und<lb/> ſchlaͤft er auch einmal ermattet ein, ſo muß es ihm immer<lb/> im Traume ſeyn, als floͤge er.</p><lb/> <p>Alle Morgen ſagt er: „heute, Weib! bin ich im Traume<lb/> geflogen, und es wird, es muß noch zur Wirklichkeit wer-<lb/> den.“ Geſtern morgen ſagte er: „O dieſe Nacht! wie<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [208/0220]
Im himmelblauen Tag, wo nichts mich kann umſchließen,
Den Luͤften, den Sternen gegeben —
Es liegt die Welt, wie klein zu meinen Fuͤßen.
Sie breiten wohl die Arme nach mir aus,
Die Maͤnnlein da, erſtaunt ob meinem Flug,
Doch bleiben feſt ſie, jenen haͤlt ein Haus,
Den eine Scheune, den ein Ochs, ein Pflug,
Ich aber werfe meinen lezten Heller
Mich zu erleichtern ſtolz auf ſie hinab,
Und fliege himmelauf noch ſchneller.
(Geht ab.)
Die Fraͤu.
Mir aber, bitt ich! grab' vorerſt mein Grab.
(Sie weint.)
Der Schmid.
Laßt es euch nicht Angſt ſeyn, liebe Frau! er findet's
nicht! (Fuͤr ſich.) Und mit dem lezten Heller iſts auch nicht
ſo richtig, der iſt, glaub' ich, ſchon lang weggeworfen. Die
Vorhaͤnge von den Bettſtellen weg, alles fort! nur noch ein
Stuhl.
Die Frau.
O ihr kennt ihn nicht! ihr kennt nicht ſeine Leiden-
ſchaft! alles, alles verſucht er!
Seit einigen Naͤchten geht er immer auf ſeinem Kirch-
hofe draußen herum, er hat gar keine Ruhe mehr. Und
ſchlaͤft er auch einmal ermattet ein, ſo muß es ihm immer
im Traume ſeyn, als floͤge er.
Alle Morgen ſagt er: „heute, Weib! bin ich im Traume
geflogen, und es wird, es muß noch zur Wirklichkeit wer-
den.“ Geſtern morgen ſagte er: „O dieſe Nacht! wie
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