Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Steh' ich einsam, einsam in der Ferne, Habe keine Flügel hinzufliegen, Habe keine Strahlen hinzusenden, Steh' ich einsam, einsam in der Ferne! Gehst du, sprech' ich mit verhaltnen Thränen: Ruhet süß, ihr lieben, lieben Augen! Ruhet süß, ihr weißen, weißen Lilgen! Ruhet süß, ihr lieben, lieben Hände! Sprachen's nach die Sterne an dem Himmel, Sprachen's nach die Blumen in dem Thale. Weh! o weh! du hast es nicht vernommen! 2. Sage mir mein liebes Mädchen: Was bedeudet dieser Traum? Steht vor'm Fenster meiner Zelle Halbverblüht ein Rosmarin. Träumte mir: es sey aus ihm heut Schnell ein Rosenstock gesprossen, Voll der düftereichsten Rosen, Hätt' sich auch ein Lorbeer grünend Um den Rosenstock gewunden. "Rosmarin ist Wehmuth, Trennung,
Rosen deuten Lieb' und Freude, Lorbeer deutet Ruhm und Sieg." Steh' ich einſam, einſam in der Ferne, Habe keine Fluͤgel hinzufliegen, Habe keine Strahlen hinzuſenden, Steh' ich einſam, einſam in der Ferne! Gehſt du, ſprech' ich mit verhaltnen Thraͤnen: Ruhet ſuͤß, ihr lieben, lieben Augen! Ruhet ſuͤß, ihr weißen, weißen Lilgen! Ruhet ſuͤß, ihr lieben, lieben Haͤnde! Sprachen's nach die Sterne an dem Himmel, Sprachen's nach die Blumen in dem Thale. Weh! o weh! du haſt es nicht vernommen! 2. Sage mir mein liebes Maͤdchen: Was bedeudet dieſer Traum? Steht vor'm Fenſter meiner Zelle Halbverbluͤht ein Rosmarin. Traͤumte mir: es ſey aus ihm heut Schnell ein Roſenſtock geſproſſen, Voll der duͤftereichſten Roſen, Haͤtt' ſich auch ein Lorbeer gruͤnend Um den Roſenſtock gewunden. „Rosmarin iſt Wehmuth, Trennung,
Roſen deuten Lieb' und Freude, Lorbeer deutet Ruhm und Sieg.“ <TEI> <text> <body> <lg type="poem"> <lg type="poem" n="1"> <pb facs="#f0202" n="190"/> <lg n="5"> <l>Steh' ich einſam, einſam in der Ferne,</l><lb/> <l>Habe keine Fluͤgel hinzufliegen,</l><lb/> <l>Habe keine Strahlen hinzuſenden,</l><lb/> <l>Steh' ich einſam, einſam in der Ferne!</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Gehſt du, ſprech' ich mit verhaltnen Thraͤnen:</l><lb/> <l>Ruhet ſuͤß, ihr lieben, lieben Augen!</l><lb/> <l>Ruhet ſuͤß, ihr weißen, weißen Lilgen!</l><lb/> <l>Ruhet ſuͤß, ihr lieben, lieben Haͤnde!</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Sprachen's nach die Sterne an dem Himmel,</l><lb/> <l>Sprachen's nach die Blumen in dem Thale.</l><lb/> <l>Weh! o weh! du haſt es nicht vernommen!</l> </lg> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem" n="2"> <head>2.</head><lb/> <lg n="1"> <l>Sage mir mein liebes Maͤdchen:</l><lb/> <l>Was bedeudet dieſer Traum?</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Steht vor'm Fenſter meiner Zelle</l><lb/> <l>Halbverbluͤht ein Rosmarin.</l><lb/> <l>Traͤumte mir: es ſey aus ihm heut</l><lb/> <l>Schnell ein Roſenſtock geſproſſen,</l><lb/> <l>Voll der duͤftereichſten Roſen,</l><lb/> <l>Haͤtt' ſich auch ein Lorbeer gruͤnend</l><lb/> <l>Um den Roſenſtock gewunden.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>„Rosmarin iſt Wehmuth, Trennung,</l><lb/> <l>Roſen deuten Lieb' und Freude,</l><lb/> <l>Lorbeer deutet Ruhm und Sieg.“</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </lg> </body> </text> </TEI> [190/0202]
Steh' ich einſam, einſam in der Ferne,
Habe keine Fluͤgel hinzufliegen,
Habe keine Strahlen hinzuſenden,
Steh' ich einſam, einſam in der Ferne!
Gehſt du, ſprech' ich mit verhaltnen Thraͤnen:
Ruhet ſuͤß, ihr lieben, lieben Augen!
Ruhet ſuͤß, ihr weißen, weißen Lilgen!
Ruhet ſuͤß, ihr lieben, lieben Haͤnde!
Sprachen's nach die Sterne an dem Himmel,
Sprachen's nach die Blumen in dem Thale.
Weh! o weh! du haſt es nicht vernommen!
2.
Sage mir mein liebes Maͤdchen:
Was bedeudet dieſer Traum?
Steht vor'm Fenſter meiner Zelle
Halbverbluͤht ein Rosmarin.
Traͤumte mir: es ſey aus ihm heut
Schnell ein Roſenſtock geſproſſen,
Voll der duͤftereichſten Roſen,
Haͤtt' ſich auch ein Lorbeer gruͤnend
Um den Roſenſtock gewunden.
„Rosmarin iſt Wehmuth, Trennung,
Roſen deuten Lieb' und Freude,
Lorbeer deutet Ruhm und Sieg.“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/202 |
Zitationshilfe: | Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/202>, abgerufen am 16.07.2024. |