Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Die heilige Regiswind von Laufen. Herr Ritter Ernst, der war ergrimmt zu einer bösen Stund', Er schlug die falsche Dienerin mit seinen Fäusten wund. Er schlug die falsche Dienerin, er stieß sie mit dem Fuß: "Herr Ritter Ernst! und wißt fürwahr, daß Euch dieß reuen muß." Es war die falsche Dienerin, die eilte durch den Saal, Sie eilte durch den weiten Hof, hinab ins grüne Thal. Da saß Herrn Ernsts sein Töchterlein, ein Fräulein fromm und zart. Es spielt mit bunten Blümelein nach anderer Kinder Art. Da pflückt die falsche Dienerin drei Röslein auf dem Plan, Zu locken dieses stille Kind zum wilden Strom hinan. "Komm liebes Kind! komm, süßes Kind! da blühen Rös- lein rund!" Sie faßt es an dem goldnen Haar, sie schleudert's in den Grund. Eine Weil' das Kind die Tiefe barg, eine Weil' es oben schwamm, Auflacht die falsche Dienerin, doch bald ihr Reue kam. Sie flieht von dem unsel'gen Strom, flieht über Berg und Thal, Sie irrt so viele hundert Jahr, kann ruh'n kein einzigmal. Es sah Herr Ernst von hoher Burg, sah in den grünen Grund, Sie brachten todt sein süßes Kind, auf Rosen man es fund. Die heilige Regiswind von Laufen. Herr Ritter Ernſt, der war ergrimmt zu einer boͤſen Stund', Er ſchlug die falſche Dienerin mit ſeinen Faͤuſten wund. Er ſchlug die falſche Dienerin, er ſtieß ſie mit dem Fuß: „Herr Ritter Ernſt! und wißt fuͤrwahr, daß Euch dieß reuen muß.“ Es war die falſche Dienerin, die eilte durch den Saal, Sie eilte durch den weiten Hof, hinab ins gruͤne Thal. Da ſaß Herrn Ernſts ſein Toͤchterlein, ein Fraͤulein fromm und zart. Es ſpielt mit bunten Bluͤmelein nach anderer Kinder Art. Da pfluͤckt die falſche Dienerin drei Roͤslein auf dem Plan, Zu locken dieſes ſtille Kind zum wilden Strom hinan. „Komm liebes Kind! komm, ſuͤßes Kind! da bluͤhen Roͤs- lein rund!“ Sie faßt es an dem goldnen Haar, ſie ſchleudert's in den Grund. Eine Weil' das Kind die Tiefe barg, eine Weil' es oben ſchwamm, Auflacht die falſche Dienerin, doch bald ihr Reue kam. Sie flieht von dem unſel'gen Strom, flieht uͤber Berg und Thal, Sie irrt ſo viele hundert Jahr, kann ruh'n kein einzigmal. Es ſah Herr Ernſt von hoher Burg, ſah in den gruͤnen Grund, Sie brachten todt ſein ſuͤßes Kind, auf Roſen man es fund. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0151" n="139"/> <lg type="poem"> <head><hi rendition="#g">Die heilige Regiswind von Laufen</hi>.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <l>Herr Ritter Ernſt, der war ergrimmt zu einer boͤſen Stund',</l><lb/> <l>Er ſchlug die falſche Dienerin mit ſeinen Faͤuſten wund.</l><lb/> <l>Er ſchlug die falſche Dienerin, er ſtieß ſie mit dem Fuß:</l><lb/> <l>„Herr Ritter Ernſt! und wißt fuͤrwahr, daß Euch dieß reuen</l><lb/> <l>muß.“</l><lb/> <l>Es war die falſche Dienerin, die eilte durch den Saal,</l><lb/> <l>Sie eilte durch den weiten Hof, hinab ins gruͤne Thal.</l><lb/> <l>Da ſaß Herrn Ernſts ſein Toͤchterlein, ein Fraͤulein fromm</l><lb/> <l>und zart.</l><lb/> <l>Es ſpielt mit bunten Bluͤmelein nach anderer Kinder Art.</l><lb/> <l>Da pfluͤckt die falſche Dienerin drei Roͤslein auf dem Plan,</l><lb/> <l>Zu locken dieſes ſtille Kind zum wilden Strom hinan.</l><lb/> <l>„Komm liebes Kind! komm, ſuͤßes Kind! da bluͤhen Roͤs-</l><lb/> <l>lein rund!“</l><lb/> <l>Sie faßt es an dem goldnen Haar, ſie ſchleudert's in den</l><lb/> <l>Grund.</l><lb/> <l>Eine Weil' das Kind die Tiefe barg, eine Weil' es oben</l><lb/> <l>ſchwamm,</l><lb/> <l>Auflacht die falſche Dienerin, doch bald ihr Reue kam.</l><lb/> <l>Sie flieht von dem unſel'gen Strom, flieht uͤber Berg und</l><lb/> <l>Thal,</l><lb/> <l>Sie irrt ſo viele hundert Jahr, kann ruh'n kein einzigmal.</l><lb/> <l>Es ſah Herr Ernſt von hoher Burg, ſah in den gruͤnen</l><lb/> <l>Grund,</l><lb/> <l>Sie brachten todt ſein ſuͤßes Kind, auf Roſen man es fund.</l><lb/> <l> </l> </lg> </body> </text> </TEI> [139/0151]
Die heilige Regiswind von Laufen.
Herr Ritter Ernſt, der war ergrimmt zu einer boͤſen Stund',
Er ſchlug die falſche Dienerin mit ſeinen Faͤuſten wund.
Er ſchlug die falſche Dienerin, er ſtieß ſie mit dem Fuß:
„Herr Ritter Ernſt! und wißt fuͤrwahr, daß Euch dieß reuen
muß.“
Es war die falſche Dienerin, die eilte durch den Saal,
Sie eilte durch den weiten Hof, hinab ins gruͤne Thal.
Da ſaß Herrn Ernſts ſein Toͤchterlein, ein Fraͤulein fromm
und zart.
Es ſpielt mit bunten Bluͤmelein nach anderer Kinder Art.
Da pfluͤckt die falſche Dienerin drei Roͤslein auf dem Plan,
Zu locken dieſes ſtille Kind zum wilden Strom hinan.
„Komm liebes Kind! komm, ſuͤßes Kind! da bluͤhen Roͤs-
lein rund!“
Sie faßt es an dem goldnen Haar, ſie ſchleudert's in den
Grund.
Eine Weil' das Kind die Tiefe barg, eine Weil' es oben
ſchwamm,
Auflacht die falſche Dienerin, doch bald ihr Reue kam.
Sie flieht von dem unſel'gen Strom, flieht uͤber Berg und
Thal,
Sie irrt ſo viele hundert Jahr, kann ruh'n kein einzigmal.
Es ſah Herr Ernſt von hoher Burg, ſah in den gruͤnen
Grund,
Sie brachten todt ſein ſuͤßes Kind, auf Roſen man es fund.
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Zitationshilfe: | Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/151>, abgerufen am 16.07.2024. |