Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Der Kranke an den Arzt. Arzt! o laß' dein schmerzlich Heilen! Weh zerreißt dein eig'nes Herz, Und doch kannst du tröstend eilen Täglich ach! zu neuem Schmerz. Sieh! für all' die tausend Wunden Wächst dir doch kein heilend Kraut, Hast du eines auch gefunden, Stillt's kaum einen Seufzerlaut. Laß', o laß' mich doch hinüber! Sieh! schon war ich frey der Qual, Und ein Vogel flog im Fieber Hoch ich über's Jammerthal. Voller Hellheit sah ich prangen, Ach! ein Land so lieb und warm, Fühlte schon mich lind umfangen Von vielseel'ger Freunde Arm. Und dein Trank hat mich erwecket,
Daß die frostige Gestalt, Dieser Leib mich wieder schrecket, Dieses Leben bang und kalt. Der Kranke an den Arzt. Arzt! o laß' dein ſchmerzlich Heilen! Weh zerreißt dein eig'nes Herz, Und doch kannſt du troͤſtend eilen Taͤglich ach! zu neuem Schmerz. Sieh! fuͤr all' die tauſend Wunden Waͤchst dir doch kein heilend Kraut, Haſt du eines auch gefunden, Stillt's kaum einen Seufzerlaut. Laß', o laß' mich doch hinuͤber! Sieh! ſchon war ich frey der Qual, Und ein Vogel flog im Fieber Hoch ich uͤber's Jammerthal. Voller Hellheit ſah ich prangen, Ach! ein Land ſo lieb und warm, Fuͤhlte ſchon mich lind umfangen Von vielſeel'ger Freunde Arm. Und dein Trank hat mich erwecket,
Daß die froſtige Geſtalt, Dieſer Leib mich wieder ſchrecket, Dieſes Leben bang und kalt. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0132" n="120"/> <lg type="poem"> <head><hi rendition="#g">Der Kranke an den Arzt</hi>.</head><lb/> <l> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </l> <lg n="1"> <l>Arzt! o laß' dein ſchmerzlich Heilen!</l><lb/> <l>Weh zerreißt dein eig'nes Herz,</l><lb/> <l>Und doch kannſt du troͤſtend eilen</l><lb/> <l>Taͤglich ach! zu neuem Schmerz.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Sieh! fuͤr all' die tauſend Wunden</l><lb/> <l>Waͤchst dir doch kein heilend Kraut,</l><lb/> <l>Haſt du <hi rendition="#g">eines</hi> auch gefunden,</l><lb/> <l>Stillt's kaum <hi rendition="#g">einen</hi> Seufzerlaut.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Laß', o laß' mich doch hinuͤber!</l><lb/> <l>Sieh! ſchon war ich frey der Qual,</l><lb/> <l>Und ein Vogel flog im Fieber</l><lb/> <l>Hoch ich uͤber's Jammerthal.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Voller Hellheit ſah ich prangen,</l><lb/> <l>Ach! ein Land ſo lieb und warm,</l><lb/> <l>Fuͤhlte ſchon mich lind umfangen</l><lb/> <l>Von vielſeel'ger Freunde Arm.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Und dein Trank hat mich erwecket,</l><lb/> <l>Daß die froſtige Geſtalt,</l><lb/> <l>Dieſer Leib mich wieder ſchrecket,</l><lb/> <l>Dieſes Leben bang und kalt.</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </body> </text> </TEI> [120/0132]
Der Kranke an den Arzt.
Arzt! o laß' dein ſchmerzlich Heilen!
Weh zerreißt dein eig'nes Herz,
Und doch kannſt du troͤſtend eilen
Taͤglich ach! zu neuem Schmerz.
Sieh! fuͤr all' die tauſend Wunden
Waͤchst dir doch kein heilend Kraut,
Haſt du eines auch gefunden,
Stillt's kaum einen Seufzerlaut.
Laß', o laß' mich doch hinuͤber!
Sieh! ſchon war ich frey der Qual,
Und ein Vogel flog im Fieber
Hoch ich uͤber's Jammerthal.
Voller Hellheit ſah ich prangen,
Ach! ein Land ſo lieb und warm,
Fuͤhlte ſchon mich lind umfangen
Von vielſeel'ger Freunde Arm.
Und dein Trank hat mich erwecket,
Daß die froſtige Geſtalt,
Dieſer Leib mich wieder ſchrecket,
Dieſes Leben bang und kalt.
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Zitationshilfe: | Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/132>, abgerufen am 16.02.2025. |