Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Denkmale. 1. Arm, preisgegeben jeglicher Beschwerde,Kepler. Vom undankbaren Heimatland vertrieben, Sah er empor von dieser kalten Erde, Und lernte recht die warmen Sonnen lieben. Der Erd' entlehntes Licht er gern entbehrte, War ihm die hell're Heimat doch geblieben, Von Sonnengold sein hehres Haupt umflossen, Standen die Himmel all' ihm aufgeschlossen. 2. Ihn schlossen sie in starre Felsen ein,Frischlin. Ihn, dem zu eng der Erde weite Lande. Er doch, voll Kraft, zerbrach den Felsenstein, Und ließ sich abwärts am unsichern Bande. Da fanden sie im bleichen Mondenschein Zerschmettert ihn, zerrissen die Gewande. Weh! Muttererde, daß mit linden Armen Du ihn nicht auffiengst, schützend, voll Erbarmen. Denkmale. 1. Arm, preisgegeben jeglicher Beſchwerde,Kepler. Vom undankbaren Heimatland vertrieben, Sah er empor von dieſer kalten Erde, Und lernte recht die warmen Sonnen lieben. Der Erd' entlehntes Licht er gern entbehrte, War ihm die hell're Heimat doch geblieben, Von Sonnengold ſein hehres Haupt umfloſſen, Standen die Himmel all' ihm aufgeſchloſſen. 2. Ihn ſchloſſen ſie in ſtarre Felſen ein,Friſchlin. Ihn, dem zu eng der Erde weite Lande. Er doch, voll Kraft, zerbrach den Felſenſtein, Und ließ ſich abwaͤrts am unſichern Bande. Da fanden ſie im bleichen Mondenſchein Zerſchmettert ihn, zerriſſen die Gewande. Weh! Muttererde, daß mit linden Armen Du ihn nicht auffiengſt, ſchuͤtzend, voll Erbarmen. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0111" n="99"/> <lg type="poem"> <head><hi rendition="#g">Denkmale</hi>.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem" n="1"> <head>1.<lb/><hi rendition="#g">Kepler</hi>.</head><lb/> <l>Arm, preisgegeben jeglicher Beſchwerde,</l><lb/> <l>Vom undankbaren Heimatland vertrieben,</l><lb/> <l>Sah er empor von dieſer kalten Erde,</l><lb/> <l>Und lernte recht die warmen Sonnen lieben.</l><lb/> <l>Der Erd' entlehntes Licht er gern entbehrte,</l><lb/> <l>War ihm die hell're Heimat doch geblieben,</l><lb/> <l>Von Sonnengold ſein hehres Haupt umfloſſen,</l><lb/> <l>Standen die Himmel all' ihm aufgeſchloſſen.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem" n="2"> <head>2.<lb/><hi rendition="#g">Friſchlin</hi>.</head><lb/> <l>Ihn ſchloſſen ſie in ſtarre Felſen ein,</l><lb/> <l>Ihn, dem zu eng der Erde weite Lande.</l><lb/> <l>Er doch, voll Kraft, zerbrach den Felſenſtein,</l><lb/> <l>Und ließ ſich abwaͤrts am unſichern Bande.</l><lb/> <l>Da fanden ſie im bleichen Mondenſchein</l><lb/> <l>Zerſchmettert ihn, zerriſſen die Gewande.</l><lb/> <l>Weh! Muttererde, daß mit linden Armen</l><lb/> <l>Du ihn nicht auffiengſt, ſchuͤtzend, voll Erbarmen.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </lg> </body> </text> </TEI> [99/0111]
Denkmale.
1.
Kepler.
Arm, preisgegeben jeglicher Beſchwerde,
Vom undankbaren Heimatland vertrieben,
Sah er empor von dieſer kalten Erde,
Und lernte recht die warmen Sonnen lieben.
Der Erd' entlehntes Licht er gern entbehrte,
War ihm die hell're Heimat doch geblieben,
Von Sonnengold ſein hehres Haupt umfloſſen,
Standen die Himmel all' ihm aufgeſchloſſen.
2.
Friſchlin.
Ihn ſchloſſen ſie in ſtarre Felſen ein,
Ihn, dem zu eng der Erde weite Lande.
Er doch, voll Kraft, zerbrach den Felſenſtein,
Und ließ ſich abwaͤrts am unſichern Bande.
Da fanden ſie im bleichen Mondenſchein
Zerſchmettert ihn, zerriſſen die Gewande.
Weh! Muttererde, daß mit linden Armen
Du ihn nicht auffiengſt, ſchuͤtzend, voll Erbarmen.
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Zitationshilfe: | Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/111>, abgerufen am 16.07.2024. |