schen, die jedoch öfters so schnell mit einander abwechselten, daß ich große Mühe hatte, dem Ueberspringen des Einen in den Andern mit Sicherheit zu folgen. Indessen erinnere ich mich nicht, daß der magnetische und dämonische Zustand je unmittelbar aufeinander gefolgt wären, sondern immer nur wechselte der natürliche mit dem magnetischen oder mit dem dämonischen und umgekehrt. Den Uebergang aus dem dämonischen Zustande in den natürlichen kündigte die Kranke fast immer und zwar mit den Worten an: "Jetzt bin ich wieder gescheid," so wie den Uebergang aus dem magne- tischen in den natürlichen mit dem Worten: "Ich bin wach." Uebersah man den Uebergang der verschiedenen Zustände und fuhr man fort, sie wie eine Dämonische zu behandeln, so schrie sie ängstlich: "Ich bin ja gescheid." Im natürlichen Zustande ist die Frau ganz einfache Hausfrau, sie strickt oder verrichtet andere häusliche Geschäfte auch im Hause des Arztes in großer Stille und ohne Hast. Sie spricht ohne geschwätzig zu seyn und betet viel, am liebsten unter freiem Himmel. Ihr Körper ist zwar sehr abgemagert, doch zeigt ihr Gesicht eine viel geringere Zer- störung, als man nach so mannigfachen vierjährigen Leiden erwarten sollte. In den Augen bemerkt man oft ein krampf- haftes Zusammenziehen. Am meisten klagt sie über die Mis- deutungen, welche ihr kranker Zustand veranlaßt, über den Kummer und die Plage, welche ihr Mann, ihre Kinder und übrigen Angehörigen um ihretwillen leiden müssen und über die Last, die sie dem Arzte und dessen hülfreicher Fa- milie zuzieht. Im magnetischen Zustande sitzt sie wie eine ruhig Schlafende da, jedoch ganz aufrecht und un- beweglich; sie hat die Augen sanft geschlossen, ihr Gesicht ist beruhigt, jedoch ohne jene Verklärung, welche ich bey vielen Somnambülen gesehen habe. Auch ist ihr Ton der Stimme weniger angenehm als bey diesen, und die Aus- sprache und die Wahl der Worte weniger edel; allein von dem, was um sie vorgeht, vernimmt sie ebenfalls nichts, und spricht nur, wenn sie gefragt wird. In diesem Zu-
ſchen, die jedoch öfters ſo ſchnell mit einander abwechſelten, daß ich große Mühe hatte, dem Ueberſpringen des Einen in den Andern mit Sicherheit zu folgen. Indeſſen erinnere ich mich nicht, daß der magnetiſche und dämoniſche Zuſtand je unmittelbar aufeinander gefolgt wären, ſondern immer nur wechſelte der natürliche mit dem magnetiſchen oder mit dem dämoniſchen und umgekehrt. Den Uebergang aus dem dämoniſchen Zuſtande in den natürlichen kündigte die Kranke faſt immer und zwar mit den Worten an: „Jetzt bin ich wieder geſcheid,“ ſo wie den Uebergang aus dem magne- tiſchen in den natürlichen mit dem Worten: „Ich bin wach.“ Ueberſah man den Uebergang der verſchiedenen Zuſtände und fuhr man fort, ſie wie eine Dämoniſche zu behandeln, ſo ſchrie ſie ängſtlich: „Ich bin ja geſcheid.“ Im natürlichen Zuſtande iſt die Frau ganz einfache Hausfrau, ſie ſtrickt oder verrichtet andere häusliche Geſchäfte auch im Hauſe des Arztes in großer Stille und ohne Haſt. Sie ſpricht ohne geſchwätzig zu ſeyn und betet viel, am liebſten unter freiem Himmel. Ihr Körper iſt zwar ſehr abgemagert, doch zeigt ihr Geſicht eine viel geringere Zer- ſtörung, als man nach ſo mannigfachen vierjährigen Leiden erwarten ſollte. In den Augen bemerkt man oft ein krampf- haftes Zuſammenziehen. Am meiſten klagt ſie über die Mis- deutungen, welche ihr kranker Zuſtand veranlaßt, über den Kummer und die Plage, welche ihr Mann, ihre Kinder und übrigen Angehörigen um ihretwillen leiden müſſen und über die Laſt, die ſie dem Arzte und deſſen hülfreicher Fa- milie zuzieht. Im magnetiſchen Zuſtande ſitzt ſie wie eine ruhig Schlafende da, jedoch ganz aufrecht und un- beweglich; ſie hat die Augen ſanft geſchloſſen, ihr Geſicht iſt beruhigt, jedoch ohne jene Verklärung, welche ich bey vielen Somnambülen geſehen habe. Auch iſt ihr Ton der Stimme weniger angenehm als bey dieſen, und die Aus- ſprache und die Wahl der Worte weniger edel; allein von dem, was um ſie vorgeht, vernimmt ſie ebenfalls nichts, und ſpricht nur, wenn ſie gefragt wird. In dieſem Zu-
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ſchen, die jedoch öfters ſo ſchnell mit einander abwechſelten,
daß ich große Mühe hatte, dem Ueberſpringen des Einen
in den Andern mit Sicherheit zu folgen. Indeſſen erinnere
ich mich nicht, daß der magnetiſche und dämoniſche Zuſtand
je unmittelbar aufeinander gefolgt wären, ſondern immer
nur wechſelte der natürliche mit dem magnetiſchen oder mit
dem dämoniſchen und umgekehrt. Den Uebergang aus dem
dämoniſchen Zuſtande in den natürlichen kündigte die Kranke
faſt immer und zwar mit den Worten an: „Jetzt bin ich
wieder geſcheid,“ ſo wie den Uebergang aus dem magne-
tiſchen in den natürlichen mit dem Worten: „Ich bin
wach.“ Ueberſah man den Uebergang der verſchiedenen
Zuſtände und fuhr man fort, ſie wie eine Dämoniſche zu
behandeln, ſo ſchrie ſie ängſtlich: „Ich bin ja geſcheid.“
Im natürlichen Zuſtande iſt die Frau ganz einfache
Hausfrau, ſie ſtrickt oder verrichtet andere häusliche Geſchäfte
auch im Hauſe des Arztes in großer Stille und ohne Haſt.
Sie ſpricht ohne geſchwätzig zu ſeyn und betet viel, am
liebſten unter freiem Himmel. Ihr Körper iſt zwar ſehr
abgemagert, doch zeigt ihr Geſicht eine viel geringere Zer-
ſtörung, als man nach ſo mannigfachen vierjährigen Leiden
erwarten ſollte. In den Augen bemerkt man oft ein krampf-
haftes Zuſammenziehen. Am meiſten klagt ſie über die Mis-
deutungen, welche ihr kranker Zuſtand veranlaßt, über den
Kummer und die Plage, welche ihr Mann, ihre Kinder und
übrigen Angehörigen um ihretwillen leiden müſſen und über
die Laſt, die ſie dem Arzte und deſſen hülfreicher Fa-
milie zuzieht. Im magnetiſchen Zuſtande ſitzt ſie wie
eine ruhig Schlafende da, jedoch ganz aufrecht und un-
beweglich; ſie hat die Augen ſanft geſchloſſen, ihr Geſicht
iſt beruhigt, jedoch ohne jene Verklärung, welche ich bey
vielen Somnambülen geſehen habe. Auch iſt ihr Ton der
Stimme weniger angenehm als bey dieſen, und die Aus-
ſprache und die Wahl der Worte weniger edel; allein von
dem, was um ſie vorgeht, vernimmt ſie ebenfalls nichts,
und ſpricht nur, wenn ſie gefragt wird. In dieſem Zu-
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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/99>, abgerufen am 16.07.2024.
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