sung bis zum 5. März zusagte, wohl vertraute. In diesem Glauben ließ ich sie unbesorgt und zwar in dem Zustand, wie sie mir gebracht worden war, wieder nach Orlach in ihr elterliches Haus zurückkehren, nachdem ich mich durch genaue und lange Beobachtung fest überzeugt hatte, daß hier nicht die mindeste Verstellung, nicht das mindeste geflissentliche Hinzuthun von Seite des Mädchens zu ihren Anfällen statt fand. Ihren Eltern empfahl ich auf's ange- legentlichste, aus dem Zustande ihrer Tochter kein Schau- spiel zu machen, ihre Anfälle so viel als möglich geheim zu halten, keine Fremde in solchen zu ihr zu lassen und keine Fragen an den Dämon zu richten, was ich selbst während ihres hiesigen Aufenthaltes aus Sorge für ihre Gesundheit nur wenig that.
Nicht durch die Schuld der Eltern, denen dieser Zu- stand ihres Kindes nur Kummer machte und die sein Ende im- mer sehnlichst wünschten, sondern durch die Zudringlichkeit der Menge geschah es, daß meinen Warnungen nicht Folge geleistet wurde; viele Neugierige strömten dem sonst unbe- kannt gewesenen Orlach zu, um das Wundermädchen in seinen Paroxismen zu sehen und zu hören, was vielleicht doch den Vortheil hatte, daß sich auch manche andere außer mir von der Eigenheit dieses Zustandes überzeugten. Ein Berufener unter den vielen Unberufenen war auch Herr Pfarrer Gerber, der das Mädchen in ihrem letzten An- falle sah und in einem Aufsatze in der Didaskalia seine Beobachtung niederschrieb, auf den wir hier bald wieder zurückkommen werden.
Am 4. Merz, Morgens sechs Uhr, als sich das Mäd- chen noch allein in seiner Schlafkammer im alten elter- lichen Hause befand, zu dessen Abbruch man aber schon Veranstaltung getroffen hatte, erschien ihr auf einmal die weiße Geistin. Sie war von einem so strahlenden Glanze, daß das Mädchen sie nicht lange ansehen konnte. Ihr Gesicht und Kopf waren von einem glänzend weißen Schleier bedeckt. Ihre Kleidung war ein langes, glän-
ſung bis zum 5. März zuſagte, wohl vertraute. In dieſem Glauben ließ ich ſie unbeſorgt und zwar in dem Zuſtand, wie ſie mir gebracht worden war, wieder nach Orlach in ihr elterliches Haus zurückkehren, nachdem ich mich durch genaue und lange Beobachtung feſt überzeugt hatte, daß hier nicht die mindeſte Verſtellung, nicht das mindeſte gefliſſentliche Hinzuthun von Seite des Mädchens zu ihren Anfällen ſtatt fand. Ihren Eltern empfahl ich auf’s ange- legentlichſte, aus dem Zuſtande ihrer Tochter kein Schau- ſpiel zu machen, ihre Anfälle ſo viel als möglich geheim zu halten, keine Fremde in ſolchen zu ihr zu laſſen und keine Fragen an den Dämon zu richten, was ich ſelbſt während ihres hieſigen Aufenthaltes aus Sorge für ihre Geſundheit nur wenig that.
Nicht durch die Schuld der Eltern, denen dieſer Zu- ſtand ihres Kindes nur Kummer machte und die ſein Ende im- mer ſehnlichſt wünſchten, ſondern durch die Zudringlichkeit der Menge geſchah es, daß meinen Warnungen nicht Folge geleiſtet wurde; viele Neugierige ſtrömten dem ſonſt unbe- kannt geweſenen Orlach zu, um das Wundermädchen in ſeinen Paroxismen zu ſehen und zu hören, was vielleicht doch den Vortheil hatte, daß ſich auch manche andere außer mir von der Eigenheit dieſes Zuſtandes überzeugten. Ein Berufener unter den vielen Unberufenen war auch Herr Pfarrer Gerber, der das Mädchen in ihrem letzten An- falle ſah und in einem Aufſatze in der Didaskalia ſeine Beobachtung niederſchrieb, auf den wir hier bald wieder zurückkommen werden.
Am 4. Merz, Morgens ſechs Uhr, als ſich das Mäd- chen noch allein in ſeiner Schlafkammer im alten elter- lichen Hauſe befand, zu deſſen Abbruch man aber ſchon Veranſtaltung getroffen hatte, erſchien ihr auf einmal die weiße Geiſtin. Sie war von einem ſo ſtrahlenden Glanze, daß das Mädchen ſie nicht lange anſehen konnte. Ihr Geſicht und Kopf waren von einem glänzend weißen Schleier bedeckt. Ihre Kleidung war ein langes, glän-
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ſung bis zum 5. März zuſagte, wohl vertraute. In dieſem
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wie ſie mir gebracht worden war, wieder nach Orlach
in ihr elterliches Haus zurückkehren, nachdem ich mich
durch genaue und lange Beobachtung feſt überzeugt hatte,
daß hier nicht die mindeſte Verſtellung, nicht das mindeſte
gefliſſentliche Hinzuthun von Seite des Mädchens zu ihren
Anfällen ſtatt fand. Ihren Eltern empfahl ich auf’s ange-
legentlichſte, aus dem Zuſtande ihrer Tochter kein Schau-
ſpiel zu machen, ihre Anfälle ſo viel als möglich geheim
zu halten, keine Fremde in ſolchen zu ihr zu laſſen und
keine Fragen an den Dämon zu richten, was ich ſelbſt
während ihres hieſigen Aufenthaltes aus Sorge für ihre
Geſundheit nur wenig that.
Nicht durch die Schuld der Eltern, denen dieſer Zu-
ſtand ihres Kindes nur Kummer machte und die ſein Ende im-
mer ſehnlichſt wünſchten, ſondern durch die Zudringlichkeit
der Menge geſchah es, daß meinen Warnungen nicht Folge
geleiſtet wurde; viele Neugierige ſtrömten dem ſonſt unbe-
kannt geweſenen Orlach zu, um das Wundermädchen
in ſeinen Paroxismen zu ſehen und zu hören, was vielleicht
doch den Vortheil hatte, daß ſich auch manche andere außer
mir von der Eigenheit dieſes Zuſtandes überzeugten. Ein
Berufener unter den vielen Unberufenen war auch Herr
Pfarrer Gerber, der das Mädchen in ihrem letzten An-
falle ſah und in einem Aufſatze in der Didaskalia ſeine
Beobachtung niederſchrieb, auf den wir hier bald wieder
zurückkommen werden.
Am 4. Merz, Morgens ſechs Uhr, als ſich das Mäd-
chen noch allein in ſeiner Schlafkammer im alten elter-
lichen Hauſe befand, zu deſſen Abbruch man aber ſchon
Veranſtaltung getroffen hatte, erſchien ihr auf einmal
die weiße Geiſtin. Sie war von einem ſo ſtrahlenden
Glanze, daß das Mädchen ſie nicht lange anſehen konnte.
Ihr Geſicht und Kopf waren von einem glänzend weißen
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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/54>, abgerufen am 17.02.2025.
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