eingetretene Desorganisation des Rückenmarkes, besonders der linken Parthie desselben, zu Grunde liege. Es wurden schulgerecht dagegen Gaben von bella donna, Zinkblumen u. s. w., Einreibungen von Brechweinsteinsalbe, ja sogar das Brenneisen, zu schleunigstem Gebrauche angerathen, -- aber zum Glücke ließ der schlichte natürliche Sinn der Eltern solche rationelle Anrathungen nicht zur Ausführung kommen, sie vertrauten in ihrem Glauben, der sich durch keine Herren wankend machen ließ, der guten weißen Erscheinung, die immer fest versicherte: dieser jammervolle Zustand ihres Kindes werde bis auf den fünften März kommenden Jahres gewiß enden, sey nur bis dahin das Haus abgebrochen und in diesem Glauben machten sie auch alle Zurüstung zur Niederreißung des alten Hauses, und zur Erbauung eines neuen.
Ich, dem sie das Mädchen auf Bitten, nachdem ihr Zu- stand mehr als fünf Monate schon so gedauert hatte, auf mehrere Wochen zur Beobachtung in's Haus brachten, unter- stützte ihren Glauben an ein dämonisches Besessenseyn ihres Kindes nicht im mindesten, hauptsächlich des Mäd- chens wegen, um sie alsdann auch einer desto reinern Be- obachtung unterwerfen zu können, sondern erklärte den Zu- stand nur für ein Leiden, gegen das keine gewöhnlichen Arz- neymittel fruchten würden, weswegen sie auch mit Recht noch bis jetzt die Hülfe aller Arzeneyflaschen, Pillenschach- teln und Salbenhäfen bey ihrer Tochter zurückgewiesen hätten. -- Dem Mädchen empfahl ich auch kein anderes Heilmittel als Gebet und schmale Kost an. Die Wirkung magnetischer Striche, die ich über sie nur ein paarmal versuchsweise machte, suchte der Dämon immer sogleich wieder durch Gegenstriche, die er mit den Händen des Mädchens machte, zu neutralisiren. So unterblieb auch dieses und überhaupt alle Heilmittel ohne alle Besorgniß von meiner Seite, weil ich in jedem Falle in diesem Zustand des Mädchens einen dämonisch-magnetischen erkannte und der Divination des bessern Geistes, der ihr ihre Gene-
eingetretene Desorganiſation des Rückenmarkes, beſonders der linken Parthie deſſelben, zu Grunde liege. Es wurden ſchulgerecht dagegen Gaben von bella donna, Zinkblumen u. ſ. w., Einreibungen von Brechweinſteinſalbe, ja ſogar das Brenneiſen, zu ſchleunigſtem Gebrauche angerathen, — aber zum Glücke ließ der ſchlichte natürliche Sinn der Eltern ſolche rationelle Anrathungen nicht zur Ausführung kommen, ſie vertrauten in ihrem Glauben, der ſich durch keine Herren wankend machen ließ, der guten weißen Erſcheinung, die immer feſt verſicherte: dieſer jammervolle Zuſtand ihres Kindes werde bis auf den fünften März kommenden Jahres gewiß enden, ſey nur bis dahin das Haus abgebrochen und in dieſem Glauben machten ſie auch alle Zurüſtung zur Niederreißung des alten Hauſes, und zur Erbauung eines neuen.
Ich, dem ſie das Mädchen auf Bitten, nachdem ihr Zu- ſtand mehr als fünf Monate ſchon ſo gedauert hatte, auf mehrere Wochen zur Beobachtung in’s Haus brachten, unter- ſtützte ihren Glauben an ein dämoniſches Beſeſſenſeyn ihres Kindes nicht im mindeſten, hauptſächlich des Mäd- chens wegen, um ſie alsdann auch einer deſto reinern Be- obachtung unterwerfen zu können, ſondern erklärte den Zu- ſtand nur für ein Leiden, gegen das keine gewöhnlichen Arz- neymittel fruchten würden, weswegen ſie auch mit Recht noch bis jetzt die Hülfe aller Arzeneyflaſchen, Pillenſchach- teln und Salbenhäfen bey ihrer Tochter zurückgewieſen hätten. — Dem Mädchen empfahl ich auch kein anderes Heilmittel als Gebet und ſchmale Koſt an. Die Wirkung magnetiſcher Striche, die ich über ſie nur ein paarmal verſuchsweiſe machte, ſuchte der Dämon immer ſogleich wieder durch Gegenſtriche, die er mit den Händen des Mädchens machte, zu neutraliſiren. So unterblieb auch dieſes und überhaupt alle Heilmittel ohne alle Beſorgniß von meiner Seite, weil ich in jedem Falle in dieſem Zuſtand des Mädchens einen dämoniſch-magnetiſchen erkannte und der Divination des beſſern Geiſtes, der ihr ihre Gene-
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[39/0053]
eingetretene Desorganiſation des Rückenmarkes, beſonders
der linken Parthie deſſelben, zu Grunde liege. Es wurden
ſchulgerecht dagegen Gaben von bella donna, Zinkblumen
u. ſ. w., Einreibungen von Brechweinſteinſalbe, ja ſogar
das Brenneiſen, zu ſchleunigſtem Gebrauche angerathen, —
aber zum Glücke ließ der ſchlichte natürliche Sinn der Eltern
ſolche rationelle Anrathungen nicht zur Ausführung kommen,
ſie vertrauten in ihrem Glauben, der ſich durch keine Herren
wankend machen ließ, der guten weißen Erſcheinung, die
immer feſt verſicherte: dieſer jammervolle Zuſtand ihres
Kindes werde bis auf den fünften März kommenden Jahres
gewiß enden, ſey nur bis dahin das Haus abgebrochen
und in dieſem Glauben machten ſie auch alle Zurüſtung zur
Niederreißung des alten Hauſes, und zur Erbauung eines
neuen.
Ich, dem ſie das Mädchen auf Bitten, nachdem ihr Zu-
ſtand mehr als fünf Monate ſchon ſo gedauert hatte, auf
mehrere Wochen zur Beobachtung in’s Haus brachten, unter-
ſtützte ihren Glauben an ein dämoniſches Beſeſſenſeyn ihres
Kindes nicht im mindeſten, hauptſächlich des Mäd-
chens wegen, um ſie alsdann auch einer deſto reinern Be-
obachtung unterwerfen zu können, ſondern erklärte den Zu-
ſtand nur für ein Leiden, gegen das keine gewöhnlichen Arz-
neymittel fruchten würden, weswegen ſie auch mit Recht
noch bis jetzt die Hülfe aller Arzeneyflaſchen, Pillenſchach-
teln und Salbenhäfen bey ihrer Tochter zurückgewieſen
hätten. — Dem Mädchen empfahl ich auch kein anderes
Heilmittel als Gebet und ſchmale Koſt an. Die Wirkung
magnetiſcher Striche, die ich über ſie nur ein paarmal
verſuchsweiſe machte, ſuchte der Dämon immer ſogleich
wieder durch Gegenſtriche, die er mit den Händen des
Mädchens machte, zu neutraliſiren. So unterblieb auch
dieſes und überhaupt alle Heilmittel ohne alle Beſorgniß
von meiner Seite, weil ich in jedem Falle in dieſem Zuſtand
des Mädchens einen dämoniſch-magnetiſchen erkannte und
der Divination des beſſern Geiſtes, der ihr ihre Gene-
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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/53>, abgerufen am 16.07.2024.
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