Beten den Muth, Sonntags den Exorcismus vorzunehmen. Er berichtete solches dem Hrn. Dekan und erhielt von ihm mündliche Erlaubniß. Sonntags früh hielt er eine besondre öffentliche Betstunde deßwegen, sprach die Beicht und Abso- lution dabey und präparirte sein Auditorinm auf den vorhaben- den wichtigen Act. Um die gewöhnliche Stunde ließ er die Mor- genpredigt läuten und die Besessene, weil sie an ihren Krücken nicht laufen konnte, wurde auf einem Karren vor die Kirchthür geführt und von da durch Männer vor den Altar gebracht und auf ein Bett hingelegt. Pastor predigte sodann über das gewöhnliche Evangelium und ließ das Lied singen: "Gott wills machen etc." Nach geendigter Predigt und ge- sprochenem Seegen redete er den bösen Geist (der sich wäh- rend dem Gottesdienst sehr ungebärdig gestellt, das Weib entsetzlich geplagt, auch vor der ganzen Gemeinde den Pfarrer mit entsetzlichem Brüllen und Schreyen unterbrochen, und oftmal schweigen heißen) von der Kanzel also an: "Nun, du böser Geist, wie hat dir dieses Wort Gottes gefallen?" Dieser antwortete mit erhobener Stimme: "Ja, was meinst Pfäffle, ob dein Vortrag auch deine Zuhörer gerührt habe? nicht weiter als zwanzig, die andern sind alle nur aus Fürwitz da." (Es waren mehr denn Tausend, sowohl fremde als einheimische Zuhörer da.) Wenn du es ver- langst, so will ich dir's mit Namen sagen, wen dein Vor- trag gerührt habe. Pastor sagte: "Nein, ich verlange es von dir nicht zu wissen," und fragte: "Wie bist du, böser Geist, in diese Person gekommen?" worauf er geantwortet: "Ich bin ihr neun Jahre nachgegangen, bis ich sie be- kommen. Sie hat fleißig gebetet, ist fromm und ihrem Geist- lichen gehorsam gewesen. Ich bin in sie gekommen nicht durch Müssiggang, nicht durch Wollust, nicht durch Unzucht; sondern durch en alte Gabelreiterin, durch en alte Hex." Ich habe noch einen Kameraden bey mir gehabt, der zwar nicht so stark als ich war, doch thut er mir weh: (denn in Scheer hat der dortige Dechant schon einen von ihr getrieben.) Du weißt wohl, wenn man auch Kameraden
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Beten den Muth, Sonntags den Exorcismus vorzunehmen. Er berichtete ſolches dem Hrn. Dekan und erhielt von ihm mündliche Erlaubniß. Sonntags früh hielt er eine beſondre öffentliche Betſtunde deßwegen, ſprach die Beicht und Abſo- lution dabey und präparirte ſein Auditorinm auf den vorhaben- den wichtigen Act. Um die gewöhnliche Stunde ließ er die Mor- genpredigt läuten und die Beſeſſene, weil ſie an ihren Krücken nicht laufen konnte, wurde auf einem Karren vor die Kirchthür geführt und von da durch Männer vor den Altar gebracht und auf ein Bett hingelegt. Paſtor predigte ſodann über das gewöhnliche Evangelium und ließ das Lied ſingen: „Gott wills machen ꝛc.“ Nach geendigter Predigt und ge- ſprochenem Seegen redete er den böſen Geiſt (der ſich wäh- rend dem Gottesdienſt ſehr ungebärdig geſtellt, das Weib entſetzlich geplagt, auch vor der ganzen Gemeinde den Pfarrer mit entſetzlichem Brüllen und Schreyen unterbrochen, und oftmal ſchweigen heißen) von der Kanzel alſo an: „Nun, du böſer Geiſt, wie hat dir dieſes Wort Gottes gefallen?“ Dieſer antwortete mit erhobener Stimme: „Ja, was meinſt Pfäffle, ob dein Vortrag auch deine Zuhörer gerührt habe? nicht weiter als zwanzig, die andern ſind alle nur aus Fürwitz da.“ (Es waren mehr denn Tauſend, ſowohl fremde als einheimiſche Zuhörer da.) Wenn du es ver- langſt, ſo will ich dir’s mit Namen ſagen, wen dein Vor- trag gerührt habe. Paſtor ſagte: „Nein, ich verlange es von dir nicht zu wiſſen,“ und fragte: „Wie biſt du, böſer Geiſt, in dieſe Perſon gekommen?“ worauf er geantwortet: „Ich bin ihr neun Jahre nachgegangen, bis ich ſie be- kommen. Sie hat fleißig gebetet, iſt fromm und ihrem Geiſt- lichen gehorſam geweſen. Ich bin in ſie gekommen nicht durch Müſſiggang, nicht durch Wolluſt, nicht durch Unzucht; ſondern durch en alte Gabelreiterin, durch en alte Hex.“ Ich habe noch einen Kameraden bey mir gehabt, der zwar nicht ſo ſtark als ich war, doch thut er mir weh: (denn in Scheer hat der dortige Dechant ſchon einen von ihr getrieben.) Du weißt wohl, wenn man auch Kameraden
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Beten den Muth, Sonntags den Exorcismus vorzunehmen.
Er berichtete ſolches dem Hrn. Dekan und erhielt von ihm
mündliche Erlaubniß. Sonntags früh hielt er eine beſondre
öffentliche Betſtunde deßwegen, ſprach die Beicht und Abſo-
lution dabey und präparirte ſein Auditorinm auf den vorhaben-
den wichtigen Act. Um die gewöhnliche Stunde ließ er die Mor-
genpredigt läuten und die Beſeſſene, weil ſie an ihren Krücken
nicht laufen konnte, wurde auf einem Karren vor die Kirchthür
geführt und von da durch Männer vor den Altar gebracht
und auf ein Bett hingelegt. Paſtor predigte ſodann über
das gewöhnliche Evangelium und ließ das Lied ſingen:
„Gott wills machen ꝛc.“ Nach geendigter Predigt und ge-
ſprochenem Seegen redete er den böſen Geiſt (der ſich wäh-
rend dem Gottesdienſt ſehr ungebärdig geſtellt, das Weib
entſetzlich geplagt, auch vor der ganzen Gemeinde den Pfarrer
mit entſetzlichem Brüllen und Schreyen unterbrochen, und
oftmal ſchweigen heißen) von der Kanzel alſo an: „Nun,
du böſer Geiſt, wie hat dir dieſes Wort Gottes gefallen?“
Dieſer antwortete mit erhobener Stimme: „Ja, was meinſt
Pfäffle, ob dein Vortrag auch deine Zuhörer gerührt habe?
nicht weiter als zwanzig, die andern ſind alle nur aus
Fürwitz da.“ (Es waren mehr denn Tauſend, ſowohl
fremde als einheimiſche Zuhörer da.) Wenn du es ver-
langſt, ſo will ich dir’s mit Namen ſagen, wen dein Vor-
trag gerührt habe. Paſtor ſagte: „Nein, ich verlange es
von dir nicht zu wiſſen,“ und fragte: „Wie biſt du, böſer
Geiſt, in dieſe Perſon gekommen?“ worauf er geantwortet:
„Ich bin ihr neun Jahre nachgegangen, bis ich ſie be-
kommen. Sie hat fleißig gebetet, iſt fromm und ihrem Geiſt-
lichen gehorſam geweſen. Ich bin in ſie gekommen nicht
durch Müſſiggang, nicht durch Wolluſt, nicht durch Unzucht;
ſondern durch en alte Gabelreiterin, durch en alte Hex.“
Ich habe noch einen Kameraden bey mir gehabt, der zwar
nicht ſo ſtark als ich war, doch thut er mir weh: (denn
in Scheer hat der dortige Dechant ſchon einen von ihr
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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/129>, abgerufen am 16.07.2024.
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