besorgen mußte, er werde sie über die Anwesenden hinein- schmeißen, machte auch, daß die Besessene ihre Haube her- unterriß und sich selbst das Haar grimmig zerraufte. Auf einmal rief es aus der Besessenen: "Jetzt ist Einer fort, -- es sind aber noch fünf da!" Diese entsetzliche Rede be- wegte die Gemeinde, immer heißer, ängstlicher und ernstlicher zu Gott zu beten und zu singen, und Gott erhörte es auch kräftig: denn jetzt bat der Satan in ihr, wie bey der ersten, oft um Pardon, und als ihm dieser nicht gewährt wurde, um Erlaubniß, nur in irgend etwas fahren zu dürfen, bis er endlich Abends um drey Uhr auf vielmaliges Zu- sammenschreyen: "In Namen Jesu Christi fahr aus, du böser Geist!" der Kreatur Leib völlig verlassen und sie von nun an ungehindert und andächtig und gerne mit mir und andern beten konnte, auch wieder einen ganz natürlichen Blick erhalten hatte.
Also hat der allmächtige und barmherzige Gott beede Weibspersonen, davon die eine, die Stiefmutter, neun Jahre mit sieben Teufeln, die Stieftochter aber fünfzehn Jahre mit sechs Teufeln besessen gewesen, von des Satans leib- licher Besitzung so befreiet, daß sie sich längere Zeit noch hier, wiewohl entkräftet, doch ohne all die frühere satanische Anfechtung aufgehalten; wie sie auch immer hier eifrig gebetet und meinen Zuspruch, (obgleich sie an der papistischen Religion stark hingen) begierig annahmen, auch die Kirche fleißig besuchten, der Predigt mit Ernst und Thränen zuhörten und endlich von mir und der hiesigen Gemeinde sehr dankbar und beweglich Abschied nahmen.
Döffingen in Würtemberg den 1. October 1715.
Pfarrer M.Hartmann.
beſorgen mußte, er werde ſie über die Anweſenden hinein- ſchmeißen, machte auch, daß die Beſeſſene ihre Haube her- unterriß und ſich ſelbſt das Haar grimmig zerraufte. Auf einmal rief es aus der Beſeſſenen: „Jetzt iſt Einer fort, — es ſind aber noch fünf da!“ Dieſe entſetzliche Rede be- wegte die Gemeinde, immer heißer, ängſtlicher und ernſtlicher zu Gott zu beten und zu ſingen, und Gott erhörte es auch kräftig: denn jetzt bat der Satan in ihr, wie bey der erſten, oft um Pardon, und als ihm dieſer nicht gewährt wurde, um Erlaubniß, nur in irgend etwas fahren zu dürfen, bis er endlich Abends um drey Uhr auf vielmaliges Zu- ſammenſchreyen: „In Namen Jeſu Chriſti fahr aus, du böſer Geiſt!“ der Kreatur Leib völlig verlaſſen und ſie von nun an ungehindert und andächtig und gerne mit mir und andern beten konnte, auch wieder einen ganz natürlichen Blick erhalten hatte.
Alſo hat der allmächtige und barmherzige Gott beede Weibsperſonen, davon die eine, die Stiefmutter, neun Jahre mit ſieben Teufeln, die Stieftochter aber fünfzehn Jahre mit ſechs Teufeln beſeſſen geweſen, von des Satans leib- licher Beſitzung ſo befreiet, daß ſie ſich längere Zeit noch hier, wiewohl entkräftet, doch ohne all die frühere ſataniſche Anfechtung aufgehalten; wie ſie auch immer hier eifrig gebetet und meinen Zuſpruch, (obgleich ſie an der papiſtiſchen Religion ſtark hingen) begierig annahmen, auch die Kirche fleißig beſuchten, der Predigt mit Ernſt und Thränen zuhörten und endlich von mir und der hieſigen Gemeinde ſehr dankbar und beweglich Abſchied nahmen.
Döffingen in Würtemberg den 1. October 1715.
Pfarrer M.Hartmann.
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beſorgen mußte, er werde ſie über die Anweſenden hinein-
ſchmeißen, machte auch, daß die Beſeſſene ihre Haube her-
unterriß und ſich ſelbſt das Haar grimmig zerraufte. Auf
einmal rief es aus der Beſeſſenen: „Jetzt iſt Einer fort,
— es ſind aber noch fünf da!“ Dieſe entſetzliche Rede be-
wegte die Gemeinde, immer heißer, ängſtlicher und ernſtlicher
zu Gott zu beten und zu ſingen, und Gott erhörte es auch
kräftig: denn jetzt bat der Satan in ihr, wie bey der erſten,
oft um Pardon, und als ihm dieſer nicht gewährt wurde,
um Erlaubniß, nur in irgend etwas fahren zu dürfen,
bis er endlich Abends um drey Uhr auf vielmaliges Zu-
ſammenſchreyen: „In Namen Jeſu Chriſti fahr aus, du
böſer Geiſt!“ der Kreatur Leib völlig verlaſſen und ſie
von nun an ungehindert und andächtig und gerne mit mir
und andern beten konnte, auch wieder einen ganz natürlichen
Blick erhalten hatte.
Alſo hat der allmächtige und barmherzige Gott beede
Weibsperſonen, davon die eine, die Stiefmutter, neun Jahre
mit ſieben Teufeln, die Stieftochter aber fünfzehn Jahre
mit ſechs Teufeln beſeſſen geweſen, von des Satans leib-
licher Beſitzung ſo befreiet, daß ſie ſich längere Zeit noch
hier, wiewohl entkräftet, doch ohne all die frühere ſataniſche
Anfechtung aufgehalten; wie ſie auch immer hier eifrig gebetet
und meinen Zuſpruch, (obgleich ſie an der papiſtiſchen Religion
ſtark hingen) begierig annahmen, auch die Kirche fleißig
beſuchten, der Predigt mit Ernſt und Thränen zuhörten
und endlich von mir und der hieſigen Gemeinde ſehr dankbar
und beweglich Abſchied nahmen.
Döffingen in Würtemberg den 1. October 1715.
Pfarrer M. Hartmann.
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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/126>, abgerufen am 06.07.2024.
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