Hernach schrie er von neuem: "Pardon! Pardon!" "Nichts! schrie ich, du mußt im Namen Jesu Christi auch fort wie deine sechs Kameraden! Im Namen Christi sag ich dir!" Da schrie er: "Weh! weh! ich muß fort!" --
Nach diesen Worten fuhr er aus dem jämmerlich geplagten Weibe und hinterließ einen unnatürlichen und abscheulichen Gestank. Die Unglückliche ward auch durch Gottes Hülfe gänzlich befreyt, betete mit großer Andacht und ließ sich aus der Kirche mit Jedermanns großer Freude, wiewohl sehr schwach und entkräftet, wieder ins Armenhaus führen.
Nächstfolgenden Montag, Vormittags um zehn Uhr, ging ich, in Begleitung eines jener frommen Männer, wieder in's Armenhaus, um zu erforschen, ob die andere Weibs- person, Namens Ursula, der erst Besessenen Stieftochter, wahrhaftig möchte besessen seyn, welches theils daraus zwei- felhaft schien, weil diese Besessene nicht nur keine offenbare Merkzeichen der Besitzung wie die Erstere von sich sehen ließ, außer in den Augen, die ein sonderbares Ansehen hatten, sondern weil sie auch bey allem, was mit der erst Beses- senen sowohl in der Kirche als im Armenhaus vorging, ganz stille blieb, theils daraus, daß sie selbst nicht mit der Sprache, sie sey besessen, heraus wollte, außer daß der böse Geist bisweilen wie ein Hahn aus ihr krähte.
Als ich nun zu dieser Besessenen im Vertrauen zu Gott und Christo sprach: "Es ist mit euch fürwahr auch nicht richtig! Teufel, du mußt hervor, wenn du diese auch be- sessen hast, ich will dich rege und aufrührerisch machen!" da fing diese Besessene nicht nur an, über die Maßen sich zu erbrechen, sondern auch der Satan mich zu schimpfen: "Du alte Kutte!" und dasjenige, was ich mit der Besessenen beten wollte, mit lautem Gelächter zu verspotten, oder das Gebet zu verhindern, oder die Worte auf's leichtfertigste zu verdrehen und zu verfälschen. So sprach der Teufel zum Exempel, statt: mit Waffen Gottes uns rüsten: mit Waffen Spottes uns rüsten. Statt: trotz dem alten Dra-
Hernach ſchrie er von neuem: „Pardon! Pardon!“ „Nichts! ſchrie ich, du mußt im Namen Jeſu Chriſti auch fort wie deine ſechs Kameraden! Im Namen Chriſti ſag ich dir!“ Da ſchrie er: „Weh! weh! ich muß fort!“ —
Nach dieſen Worten fuhr er aus dem jämmerlich geplagten Weibe und hinterließ einen unnatürlichen und abſcheulichen Geſtank. Die Unglückliche ward auch durch Gottes Hülfe gänzlich befreyt, betete mit großer Andacht und ließ ſich aus der Kirche mit Jedermanns großer Freude, wiewohl ſehr ſchwach und entkräftet, wieder ins Armenhaus führen.
Nächſtfolgenden Montag, Vormittags um zehn Uhr, ging ich, in Begleitung eines jener frommen Männer, wieder in’s Armenhaus, um zu erforſchen, ob die andere Weibs- perſon, Namens Urſula, der erſt Beſeſſenen Stieftochter, wahrhaftig möchte beſeſſen ſeyn, welches theils daraus zwei- felhaft ſchien, weil dieſe Beſeſſene nicht nur keine offenbare Merkzeichen der Beſitzung wie die Erſtere von ſich ſehen ließ, außer in den Augen, die ein ſonderbares Anſehen hatten, ſondern weil ſie auch bey allem, was mit der erſt Beſeſ- ſenen ſowohl in der Kirche als im Armenhaus vorging, ganz ſtille blieb, theils daraus, daß ſie ſelbſt nicht mit der Sprache, ſie ſey beſeſſen, heraus wollte, außer daß der böſe Geiſt bisweilen wie ein Hahn aus ihr krähte.
Als ich nun zu dieſer Beſeſſenen im Vertrauen zu Gott und Chriſto ſprach: „Es iſt mit euch fürwahr auch nicht richtig! Teufel, du mußt hervor, wenn du dieſe auch be- ſeſſen haſt, ich will dich rege und aufrühreriſch machen!“ da fing dieſe Beſeſſene nicht nur an, über die Maßen ſich zu erbrechen, ſondern auch der Satan mich zu ſchimpfen: „Du alte Kutte!“ und dasjenige, was ich mit der Beſeſſenen beten wollte, mit lautem Gelächter zu verſpotten, oder das Gebet zu verhindern, oder die Worte auf’s leichtfertigſte zu verdrehen und zu verfälſchen. So ſprach der Teufel zum Exempel, ſtatt: mit Waffen Gottes uns rüſten: mit Waffen Spottes uns rüſten. Statt: trotz dem alten Dra-
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Hernach ſchrie er von neuem: „Pardon! Pardon!“
„Nichts! ſchrie ich, du mußt im Namen Jeſu Chriſti auch
fort wie deine ſechs Kameraden! Im Namen Chriſti ſag ich
dir!“ Da ſchrie er: „Weh! weh! ich muß fort!“ —
Nach dieſen Worten fuhr er aus dem jämmerlich geplagten
Weibe und hinterließ einen unnatürlichen und abſcheulichen
Geſtank. Die Unglückliche ward auch durch Gottes Hülfe
gänzlich befreyt, betete mit großer Andacht und ließ ſich
aus der Kirche mit Jedermanns großer Freude, wiewohl
ſehr ſchwach und entkräftet, wieder ins Armenhaus führen.
Nächſtfolgenden Montag, Vormittags um zehn Uhr, ging
ich, in Begleitung eines jener frommen Männer, wieder
in’s Armenhaus, um zu erforſchen, ob die andere Weibs-
perſon, Namens Urſula, der erſt Beſeſſenen Stieftochter,
wahrhaftig möchte beſeſſen ſeyn, welches theils daraus zwei-
felhaft ſchien, weil dieſe Beſeſſene nicht nur keine offenbare
Merkzeichen der Beſitzung wie die Erſtere von ſich ſehen
ließ, außer in den Augen, die ein ſonderbares Anſehen hatten,
ſondern weil ſie auch bey allem, was mit der erſt Beſeſ-
ſenen ſowohl in der Kirche als im Armenhaus vorging,
ganz ſtille blieb, theils daraus, daß ſie ſelbſt nicht mit der
Sprache, ſie ſey beſeſſen, heraus wollte, außer daß der
böſe Geiſt bisweilen wie ein Hahn aus ihr krähte.
Als ich nun zu dieſer Beſeſſenen im Vertrauen zu Gott
und Chriſto ſprach: „Es iſt mit euch fürwahr auch nicht
richtig! Teufel, du mußt hervor, wenn du dieſe auch be-
ſeſſen haſt, ich will dich rege und aufrühreriſch machen!“
da fing dieſe Beſeſſene nicht nur an, über die Maßen ſich
zu erbrechen, ſondern auch der Satan mich zu ſchimpfen:
„Du alte Kutte!“ und dasjenige, was ich mit der Beſeſſenen
beten wollte, mit lautem Gelächter zu verſpotten, oder das
Gebet zu verhindern, oder die Worte auf’s leichtfertigſte
zu verdrehen und zu verfälſchen. So ſprach der Teufel
zum Exempel, ſtatt: mit Waffen Gottes uns rüſten: mit
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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/124>, abgerufen am 16.02.2025.
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