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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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Noch einige Zeit dauerte die Plage des Weibes ohne
Widerstand fort, bis endlich mehrere gläubige Freunde in
der Ferne sich im Gebet für dieses Weib vereinigten und
den Herrn um die Lösung dieses unnatürlichen Bandes fle-
hentlich baten. Wenigstens läßt sich der Erfolg so deuten,
indem um eben diese Zeit der Schutzgeist den Ausspruch
that, daß der Befehl gekommen sey: "Der Dämon müsse
morgen Mittag um zwölf Uhr den Körper verlassen." Dieß
geschah auch wirklich unter den bekannten Zeichen des Aus-
fahrens, ohne daß Jemand an einen förmlichen Exorcismus
dachte.

Die Frau fühlte sich wieder befreit und dankte inbrün-
stig Gott. Alles wünschte ihr Glück, indem keine Spur
der dämonischen Besitzung mehr vorhanden war. Aber es
war nur ein Trug. Nach einem Stillstand von fünf Tagen
kehrte die dämonische Plage wieder zurück, und die Frau
wurde jetzt zum fünften Mal recitiv. Nicht undeutlich schien
jene Bibelstelle anwendbar: "Wenn ein Dämon seine
Wohnung verläßt, so daß alles gereinigt, geschmückt und
wie mit Besen gekehrt erscheint, und alsdann dürre Stätten
durchwandert, so kehrt er wieder zurück und nimmt sieben
andere Gesellen mit." Alle waren jetzt rathlos; auch die Aus-
sagen des Schutzgeistes waren schwankend; Manchmal wollte
es uns dünken, als spiele eine satanische List die doppelte
Rolle des Dämons und des Schutzgeistes. Diese Meinung
wurde aber wieder zurückgewiesen dadurch, daß er die Frau
zum Ausharren mit Geduld ermahnte, ihr Trost zusprach,
sie zum Fasten und Beten anhielt und ein baldiges Ende
ihrer Leiden verkündete. Wirklich war es auch die Frau
immer zuerst, welche, ob sie gleich durch den Jammer und
das viele Fasten beynahe ein Gerippe geworden, durch
Trennung von Gatten und Kindern große Opfer gebracht,
und dennoch Alles vergeblich sah, doch den Faden der Hoff-
nung zur Wiedergenesung wieder auffaßte, eingedenk jener
biblichen Thatsache, daß Jesus von der Maria sieben Teufel
austrieb.


Noch einige Zeit dauerte die Plage des Weibes ohne
Widerſtand fort, bis endlich mehrere gläubige Freunde in
der Ferne ſich im Gebet für dieſes Weib vereinigten und
den Herrn um die Löſung dieſes unnatürlichen Bandes fle-
hentlich baten. Wenigſtens läßt ſich der Erfolg ſo deuten,
indem um eben dieſe Zeit der Schutzgeiſt den Ausſpruch
that, daß der Befehl gekommen ſey: „Der Dämon müſſe
morgen Mittag um zwölf Uhr den Körper verlaſſen.“ Dieß
geſchah auch wirklich unter den bekannten Zeichen des Aus-
fahrens, ohne daß Jemand an einen förmlichen Exorcismus
dachte.

Die Frau fühlte ſich wieder befreit und dankte inbrün-
ſtig Gott. Alles wünſchte ihr Glück, indem keine Spur
der dämoniſchen Beſitzung mehr vorhanden war. Aber es
war nur ein Trug. Nach einem Stillſtand von fünf Tagen
kehrte die dämoniſche Plage wieder zurück, und die Frau
wurde jetzt zum fünften Mal recitiv. Nicht undeutlich ſchien
jene Bibelſtelle anwendbar: „Wenn ein Dämon ſeine
Wohnung verläßt, ſo daß alles gereinigt, geſchmückt und
wie mit Beſen gekehrt erſcheint, und alsdann dürre Stätten
durchwandert, ſo kehrt er wieder zurück und nimmt ſieben
andere Geſellen mit.“ Alle waren jetzt rathlos; auch die Aus-
ſagen des Schutzgeiſtes waren ſchwankend; Manchmal wollte
es uns dünken, als ſpiele eine ſataniſche Liſt die doppelte
Rolle des Dämons und des Schutzgeiſtes. Dieſe Meinung
wurde aber wieder zurückgewieſen dadurch, daß er die Frau
zum Ausharren mit Geduld ermahnte, ihr Troſt zuſprach,
ſie zum Faſten und Beten anhielt und ein baldiges Ende
ihrer Leiden verkündete. Wirklich war es auch die Frau
immer zuerſt, welche, ob ſie gleich durch den Jammer und
das viele Faſten beynahe ein Gerippe geworden, durch
Trennung von Gatten und Kindern große Opfer gebracht,
und dennoch Alles vergeblich ſah, doch den Faden der Hoff-
nung zur Wiedergeneſung wieder auffaßte, eingedenk jener
biblichen Thatſache, daß Jeſus von der Maria ſieben Teufel
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[98/0112] Noch einige Zeit dauerte die Plage des Weibes ohne Widerſtand fort, bis endlich mehrere gläubige Freunde in der Ferne ſich im Gebet für dieſes Weib vereinigten und den Herrn um die Löſung dieſes unnatürlichen Bandes fle- hentlich baten. Wenigſtens läßt ſich der Erfolg ſo deuten, indem um eben dieſe Zeit der Schutzgeiſt den Ausſpruch that, daß der Befehl gekommen ſey: „Der Dämon müſſe morgen Mittag um zwölf Uhr den Körper verlaſſen.“ Dieß geſchah auch wirklich unter den bekannten Zeichen des Aus- fahrens, ohne daß Jemand an einen förmlichen Exorcismus dachte. Die Frau fühlte ſich wieder befreit und dankte inbrün- ſtig Gott. Alles wünſchte ihr Glück, indem keine Spur der dämoniſchen Beſitzung mehr vorhanden war. Aber es war nur ein Trug. Nach einem Stillſtand von fünf Tagen kehrte die dämoniſche Plage wieder zurück, und die Frau wurde jetzt zum fünften Mal recitiv. Nicht undeutlich ſchien jene Bibelſtelle anwendbar: „Wenn ein Dämon ſeine Wohnung verläßt, ſo daß alles gereinigt, geſchmückt und wie mit Beſen gekehrt erſcheint, und alsdann dürre Stätten durchwandert, ſo kehrt er wieder zurück und nimmt ſieben andere Geſellen mit.“ Alle waren jetzt rathlos; auch die Aus- ſagen des Schutzgeiſtes waren ſchwankend; Manchmal wollte es uns dünken, als ſpiele eine ſataniſche Liſt die doppelte Rolle des Dämons und des Schutzgeiſtes. Dieſe Meinung wurde aber wieder zurückgewieſen dadurch, daß er die Frau zum Ausharren mit Geduld ermahnte, ihr Troſt zuſprach, ſie zum Faſten und Beten anhielt und ein baldiges Ende ihrer Leiden verkündete. Wirklich war es auch die Frau immer zuerſt, welche, ob ſie gleich durch den Jammer und das viele Faſten beynahe ein Gerippe geworden, durch Trennung von Gatten und Kindern große Opfer gebracht, und dennoch Alles vergeblich ſah, doch den Faden der Hoff- nung zur Wiedergeneſung wieder auffaßte, eingedenk jener biblichen Thatſache, daß Jeſus von der Maria ſieben Teufel austrieb.

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/112>, abgerufen am 24.11.2024.