Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Abhandlung. Gedanken
nes, das nicht aus der Ursprache herausgekünstelt,
sondern irgendwo von einer menschlichen Gesellschaft
erfunden worden, so können auch hundert -- so
können tausend, -- so kann eine ganze Sprache er-
funden worden seyn.

Wenn man den Unterschied der Sprachen er-
forschen will, muß man nicht bey Wörtern allein
stehen bleiben, sondern auch hauptsächlich die Syn-
tax und den Bau der Sprache in Erwägung ziehen.
Bloße Wörter können durch Vernachläßigung oder
Sprachverbesserung, durch Vermischung der Völker,
Veränderung der Mundarten, und viele andere Ur-
sachen in so langer Zeit zum Theil ausgeartet seyn.
Das sehen wir in der deutschen Sprache, deren
Wörter und Ableitungen vor 800 Jahren eine ganz
andere Gestalt hatten, und die von einem heutigen
Deutschen, der sich nicht besonders darauf gelegt
hat, kaum mehr verstanden werden. Und so kann
nach tausend Jahren unser heutiges Deutsch wieder
beträchtliche Veränderungen leiden, in so weit es
auf Wörter und Aussprache ankömmt, aber sein
Bau wird nicht viel verändert werden. Wenn man

vor

II. Abhandlung. Gedanken
nes, das nicht aus der Urſprache herausgekuͤnſtelt,
ſondern irgendwo von einer menſchlichen Geſellſchaft
erfunden worden, ſo koͤnnen auch hundert — ſo
koͤnnen tauſend, — ſo kann eine ganze Sprache er-
funden worden ſeyn.

Wenn man den Unterſchied der Sprachen er-
forſchen will, muß man nicht bey Woͤrtern allein
ſtehen bleiben, ſondern auch hauptſaͤchlich die Syn-
tax und den Bau der Sprache in Erwaͤgung ziehen.
Bloße Woͤrter koͤnnen durch Vernachlaͤßigung oder
Sprachverbeſſerung, durch Vermiſchung der Voͤlker,
Veraͤnderung der Mundarten, und viele andere Ur-
ſachen in ſo langer Zeit zum Theil ausgeartet ſeyn.
Das ſehen wir in der deutſchen Sprache, deren
Woͤrter und Ableitungen vor 800 Jahren eine ganz
andere Geſtalt hatten, und die von einem heutigen
Deutſchen, der ſich nicht beſonders darauf gelegt
hat, kaum mehr verſtanden werden. Und ſo kann
nach tauſend Jahren unſer heutiges Deutſch wieder
betraͤchtliche Veraͤnderungen leiden, in ſo weit es
auf Woͤrter und Ausſprache ankoͤmmt, aber ſein
Bau wird nicht viel veraͤndert werden. Wenn man

vor
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0072" n="44"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II</hi>. Abhandlung. Gedanken</hi></fw><lb/>
nes, das nicht aus der Ur&#x017F;prache herausgeku&#x0364;n&#x017F;telt,<lb/>
&#x017F;ondern irgendwo von einer men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
erfunden worden, &#x017F;o ko&#x0364;nnen auch hundert &#x2014; &#x017F;o<lb/>
ko&#x0364;nnen tau&#x017F;end, &#x2014; &#x017F;o kann eine ganze Sprache er-<lb/>
funden worden &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Wenn man den Unter&#x017F;chied der Sprachen er-<lb/>
for&#x017F;chen will, muß man nicht bey Wo&#x0364;rtern allein<lb/>
&#x017F;tehen bleiben, &#x017F;ondern auch haupt&#x017F;a&#x0364;chlich die Syn-<lb/>
tax und den Bau der Sprache in Erwa&#x0364;gung ziehen.<lb/>
Bloße Wo&#x0364;rter ko&#x0364;nnen durch Vernachla&#x0364;ßigung oder<lb/>
Sprachverbe&#x017F;&#x017F;erung, durch Vermi&#x017F;chung der Vo&#x0364;lker,<lb/>
Vera&#x0364;nderung der Mundarten, und viele andere Ur-<lb/>
&#x017F;achen in &#x017F;o langer Zeit zum Theil ausgeartet &#x017F;eyn.<lb/>
Das &#x017F;ehen wir in der deut&#x017F;chen Sprache, deren<lb/>
Wo&#x0364;rter und Ableitungen vor 800 Jahren eine ganz<lb/>
andere Ge&#x017F;talt hatten, und die von einem heutigen<lb/>
Deut&#x017F;chen, der &#x017F;ich nicht be&#x017F;onders darauf gelegt<lb/>
hat, kaum mehr ver&#x017F;tanden werden. Und &#x017F;o kann<lb/>
nach tau&#x017F;end Jahren un&#x017F;er heutiges Deut&#x017F;ch wieder<lb/>
betra&#x0364;chtliche Vera&#x0364;nderungen leiden, in &#x017F;o weit es<lb/>
auf Wo&#x0364;rter und Aus&#x017F;prache anko&#x0364;mmt, aber &#x017F;ein<lb/>
Bau wird nicht viel vera&#x0364;ndert werden. Wenn man<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">vor</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0072] II. Abhandlung. Gedanken nes, das nicht aus der Urſprache herausgekuͤnſtelt, ſondern irgendwo von einer menſchlichen Geſellſchaft erfunden worden, ſo koͤnnen auch hundert — ſo koͤnnen tauſend, — ſo kann eine ganze Sprache er- funden worden ſeyn. Wenn man den Unterſchied der Sprachen er- forſchen will, muß man nicht bey Woͤrtern allein ſtehen bleiben, ſondern auch hauptſaͤchlich die Syn- tax und den Bau der Sprache in Erwaͤgung ziehen. Bloße Woͤrter koͤnnen durch Vernachlaͤßigung oder Sprachverbeſſerung, durch Vermiſchung der Voͤlker, Veraͤnderung der Mundarten, und viele andere Ur- ſachen in ſo langer Zeit zum Theil ausgeartet ſeyn. Das ſehen wir in der deutſchen Sprache, deren Woͤrter und Ableitungen vor 800 Jahren eine ganz andere Geſtalt hatten, und die von einem heutigen Deutſchen, der ſich nicht beſonders darauf gelegt hat, kaum mehr verſtanden werden. Und ſo kann nach tauſend Jahren unſer heutiges Deutſch wieder betraͤchtliche Veraͤnderungen leiden, in ſo weit es auf Woͤrter und Ausſprache ankoͤmmt, aber ſein Bau wird nicht viel veraͤndert werden. Wenn man vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791/72
Zitationshilfe: Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791/72>, abgerufen am 24.11.2024.